Berlin sorgt sich um Ankara

Berlin · Bundespolitiker sehen dem Ausgang der Abstimmung gespannt entgegen.

Berlin Prominente Vertreter der Berliner Politik blicken mit großer Sorge auf den Wahlsonntag in der Türkei, wie eine Umfrage unserer Redaktion ergab. Der Innenexperte der CDU, Wolfgang Bosbach , malt ein düsteres Szenario: "Die Türkei marschiert schon seit einigen Jahren mit großen Schritten weg von der Demokratie in Richtung eines autoritären Regimes." Natürlich hoffe er auf ein Scheitern des Referendums. "Aber auch für diesen Fall fürchte ich, dass die Spannungen in der Türkei nicht nachlassen werden und die türkischstämmigen Mitbürger in Deutschland gespalten bleiben", so Bosbach. "Auf diese Weise importieren wir politische Konflikte, die leider auch viel zu oft mit Gewalt ausgetragen werden."

Auch der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, will die Hoffnung nicht aufgeben, "dass sich die Mehrheit der Menschen in der Türkei für Demokratie und gegen die Einschränkung von Bürgerrechten entscheidet". Alles andere wäre auch für die Nato eine zusätzliche Belastung. "Denn damit würde sich ein geostrategisch wichtiger Partner wie die Türkei immer weiter von den westlichen Werten entfernen." Die Türkei verfügt nach den USA über die zweitgrößte Nato-Armee. Auf die Frage nach den Folgen äußerte sich Arnold zurückhaltend: Sicher könne man die Türkei nicht aus der Nato werfen. An der militärischen Zusammenarbeit mit Ankara werde sich deshalb auch nichts Grundlegendes ändern.
Das sieht der Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin anders: Mit dem Referendum entscheide sich die Zukunft der Türkei. "Es geht um die Frage Demokratie oder Diktatur. Davon hängt ab, ob die Türkei sich dauerhaft von Europa und übrigens auch von der Nato abwendet", erklärte Trittin. "Wenn die Ja-Sager gewinnen, ist dies das vorläufige Ende von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei. Dann müssen die Beziehungen mit Ankara komplett neu vermessen werden". Das heißt für Trittin konkret: "Die Bundesregierung muss dann alle Rüstungsexporte in die Türkei stoppen und darf dann keine Finanzhilfen gegen die Wirtschaftskrise liefern". Falls sich die Menschen aber gegen die Erdogan-Diktatur entschieden, müssten Deutschland und Europa die Türkei bei einem politischen Neuanfang unterstützen, forderte der Grünen-Politiker.

Der ehemalige Fraktionsvorsitzende der Linken, Gregor Gysi, hält derweil sogar einen Wahlbetrug für möglich. Zu befürchten sei, dass Erdogans "Präsidialdespotie auch dann von ihm als von der Mehrheit beschlossen ausgegeben wird, wenn in Wirklichkeit die Mehrheit dagegen ist", sagte Gysi. "Dafür spricht schon, dass die internationale Wahlbeobachtung in den Kurdengebieten stark eingeschränkt wurde." Auch Gysi forderte harte Konsequenzen: Die EU müsse in einem solchen Fall "die Beitrittsverhandlungen aussetzen und die Nato über die Mitgliedschaft eines undemokratischen Landes nachdenken". Darüber hinaus müssten alle Regierungen in Europa, insbesondere die Bundesregierung, die Flüchtlingsfrage nicht länger über die Türkei regeln "und sich damit täglich erpressbar machen", meinte Gysi. Außerdem müsse die Bundeswehr "unverzüglich" aus der Türkei abgezogen werden.

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