"Beten ist so wichtig wie hartes Training"

BERLIN. Fußball kann nach Ansicht des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, keine Ersatzreligion sein. Wer das glaube, mache einen großen Fehler, so Huber im Gespräch mit unserer Zeitung. Der neue Patriotismus in Deutschland anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft sei für ihn Ausdruck eines "friedlichen und freundlichen Festes".

Herr Bischof Huber, die deutsche Fußball-Nationalmannschaft steht im Achtelfinale der WM. Nun hilft nur noch Beten, oder?Huber: Beten ist wichtig. Es hilft in allen Lebenslagen; und wir erleben ja zur Zeit, wie sehr der Fußball zum Leben gehören kann. Das Gebet gibt inneren Halt, deshalb ist es so wichtig wie das harte Training und die zielgerichtete sportliche Vorbereitung. Darf man um Gottes Hilfe für einen WM-Sieg bitten?Huber: Zuerst einmal gilt: Beim Gebet gibt es keine Zensur. In dem Gespräch mit Gott können wir ihm alle Hoffnungen und Wünsche anvertrauen. Aber niemand sollte gegen seinen Nächsten beten. Wer betet, denkt niemals nur an sich, sondern immer auch an die anderen. Schauen Sie sich die Spiele an? Wie fällt Ihr erstes WM-Fazit aus?Huber: Ich hatte das Glück, schon drei Spiele live im Stadion beobachten zu können. Die Begeisterung in den Stadien, aber auch die Begeisterung auf den Fanmeilen in den großen Städten ist großartig. Zugleich zeigt sich, dass dieses Turnier sehr gut vorbereitet ist. Dazu unterstützt das durchgängig gute Wetter die hervorragende Stimmung. Es ist schön, dass wir diese WM bei uns haben und dieses friedliche Fest gemeinsam mit Gästen aus der gesamten Welt feiern können. Der Fußball und die Verehrung der Stars ist so etwas wie ein Religionsersatz geworden. Was bedeutet das für die Kirchen?Huber: Wer Fußball zur Ersatzreligion macht, macht einen großen Fehler. Fußball ist ein Stück menschliches Leben, keine Religion! Fußballer, die nachdenken, wissen das am allerbesten. Der deutsche Nationalspieler Christoph Metzelder hat den eindrucksvollen Satz geprägt: "Religion hat mit Fragen zu tun, die der Fußball nicht beantwortet." Ist der Fußball zu kommerziell geworden?Huber: Der Rahmen hat viele kommerzielle Züge, und die Spieler denken auch an ihren Marktwert. Aber letztlich zählt der Sport. Ich hoffe, dass viele ihre Begeisterung auf guten Fußball richten und gegenüber der kommerziellen Vermarktung ihre Freiheit behalten. Die WM hat den Patriotismus in Deutschland neu belebt - mahnen Sie zur Mäßigung oder jubeln Sie mit?Huber: Wenn ich die vielen Flaggen sehe, erinnere ich mich meines leichten Erschreckens bei einem anderen Anlass: Am 10. November 1989 war ich auf dem Weg zum Brandenburger Tor. In die U-Bahnen stiegen unendlich viele Menschen; manche hatten Deutschlandfahnen mit. Damals erlebte ich das eher ein bisschen bedrohlich. In diesen Tagen ist das Brot beim Bäcker von einer schwarz-rot-goldenen Binde umwickelt, die von Weltklasse spricht. Kinder setzen sich nicht vor den Fernseher, ohne sich die Wange bemalt zu haben. Und das alles ist ein friedliches und freundliches Fest. Darüber freue ich mich - und im Stadion juble ich auch. Das Gespräch führte unser Korrespondent Hagen Strauß.

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