Betriebsräte melden wöchentlich interne Firmendaten nach Mainz

Von zahlreichen Firmen im Land werden seit Jahresbeginn gezielt und systematisch betriebsinterne Daten abgefragt. Die Chefs ahnen davon offenbar nichts. Die Opposition im Landtag, die Kammern und die Landesvereinigung der Unternehmerverbände (LVU) laufen Sturm. Sie sprechen von "Bespitzelung" mit Hilfe von Steuergeldern.

Mainz. (fcg) Die Landesregierung hat am 1. Januar ein "betriebsrätliches Schnell-Informationssystem" installiert. Seitdem sind Betriebsräte aufgefordert, wöchentlich einen Fragebogen auszufüllen und der gewerkschaftsnahen TBS gGmbH zu schicken. Darin würden unter Nennung des Betriebsnamens "auch so sensible Daten wie die Entwicklung der Auftragslage, Finanzprobleme des Unternehmens, die innerbetriebliche Arbeitsorganisation oder ein eventueller Personalabbau abgefragt", moniert Herbert Mertin, FDP-Fraktionschef. Die Landesregierung bekomme die Daten dann in anonymisierter Form. Bis Ende Juni seien 35 100 Datensätze von 195 Betrieben im Land erhoben worden. Das habe Arbeitsministerin Malu Dreyer (SPD) in der Antwort auf eine Große Anfrage mitgeteilt. Die Landesregierung bezuschusse das Projekt mit 323 000 Euro.

FDP-Chef Mertin sieht Sozialpartnerschaft bedroht



Die Liberalen kritisieren vor allem, dass die Abfrage "hintenrum" über die Betriebsräte geschehe. Wenn die Landesregierung bei der Bewältigung der Finanzkrise schneller Daten benötige, was durchaus nachvollziehbar sei, "dann muss sie sich an die Unternehmen wenden", fordert Herbert Mertin. Das Vorgehen drohe "die Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten sowie zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden nachhaltig zu beschädigen". Die Regierung verletze ihre Neutralitätspflicht bei Arbeitskämpfen, denn die Gewerkschaften könnten das erworbene Wissen gezielt bei Streiks einsetzen. Mertin fordert deshalb die Einstellung des Projektes.

Drastischer formuliert Alexander Licht, wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU: "Die Landesregierung muss das Spitzelprojekt sofort stoppen." Betriebsräte würden "für eine Aufgabe missbraucht, die auch unter datenschutzrechtlichen Aspekten höchst problematisch ist".

Die Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern lehnt das Projekt rundweg ab. Dort herrscht ebenso wie bei der LVU Verwunderung, dass man vorab weder gefragt noch informiert wurde. IHK-Sprecher Arne Rössel aus Trier findet deutliche Worte: "Wir halten eine derartige Projektvergabe für geeignet, großes Misstrauen zu erzeugen. Misstrauen in den betroffenen Unternehmen, deren Geschäftsleitungen häufig gar nicht davon Kenntnis haben, dass sie auf diesem Weg ausspioniert wurden."

Das Arbeitsministerium weist alle Vorwürfe zurück. "Das Maßnahmeprogramm wird von dem Grundgedanken geleitet, dass die Bewältigung der Krise nur durch eine konstruktive Zusammenarbeit aller Beteiligten gelingen kann", sagt eine Sprecherin. Dass die betrieblichen Akteure auf der Arbeitnehmerseite aktiv einbezogen würden, sei "einmalig in Deutschland und trägt aktiv zur Stärkung der Wirtschaft bei".

Meinung

Steuergelder für Spionage

Das Projekt "Schnell-Informationssystem" von Arbeitsministerin Malu Dreyer folgt einem hehren Anspruch: Die Belange der Arbeitnehmer sollen bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise berücksichtigt werden. Leider ist die Ministerin weit über das Ziel hinausgeschossen. Wenn Daten erhoben werden, die mehr preisgeben als das, was öffentlich im Handelsregister einsehbar ist, darf das nur mit Wissen und Zustimmung der Firmenleitungen geschehen. Dass Betriebsräte heimlich Infos weitergeben und diese Spionage mit Steuergeldern unterstützt wird, ist unverschämt. Offenbar hat Dreyer den Proteststurm geahnt und in weiser Voraussicht Kammern und Verbänden das Projekt verschwiegen. Wirtschaftsminister Hendrik Hering hat erst im Nachhinein informiert. Er wird erklären müssen, warum er so spät aus dem Gebüsch gekommen ist, obwohl sein Arbeitsbereich deutlich tangiert ist. f.giarra@volksfreund.de

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