Beziehungskiller Kind

TRIER. Wenn aus zwei, drei werden, dann sind Paare gefordert. Eltern verlieren oft das Gleichgewicht. Der Braunschweiger Psychologe Kurt Hahlweg erklärt, wie die Balance wieder gefunden werden kann.

"Nach der Geburt von Paul war unsere Partnerschaft plötzlich ganz anders", sagt Anna Scholer. Statt romantischen Essen bei Kerzenschein und dem Besuch des Tanzkurses, schreit Paul (acht Monate) unentwegt während des Abendessens und der letzte Abend zu zweit … - an den kann sich Anna gar nicht mehr erinnern. "Hier fliegen ständig die Fetzen und wir sind beide völlig ausgelaugt", erzählt die 31-jährige. "Bei dreißig Prozent der Paare verschlechtert sich die Partnerschaft nach dem ersten Kind", stellt der Psychologe Kurt Hahlweg von der Technischen Uni Braunschweig fest. Den Alltag mit Kind zu bewältigen, stellt für Eltern eine enorme Herausforderung dar. Viele Dinge müssen gleichzeitig erledigt werden. Die Verantwortung ist groß und die Zeit, die bleibt, schmilzt wie Eis in der Sonne dahin. Die Folge: Viele Paare verzehren sich in Streit und Stress. "Nur weil Paare Eltern sind, heißt das nicht, dass ihre eigenen Bedürfnisse nicht mehr wichtig sind." Im Gegenteil: Nach Meinung des Psychologen ist es einfacher die Elternrolle zu erfüllen, wenn die eigenen Bedürfnisse ernst genommen werden. "Jeden Tag sollten Vater und Mutter wenigstens eine Sache machen, die sie genießen. Selbst ein paar Minuten können sehr erholsam sein", rät Hahlweg. Zur Verschlechterung der Paarbeziehung trage vor allem bei, dass werdende Eltern die Lebenssituation mit Kind durch die rosarote Brille sehen. "Die meisten Paare nehmen sich vor, sich gemeinsam um das Kind zu kümmern. Doch die Realität sieht anders aus. Überwiegend übernimmt die Mutter die Betreuung des Kindes", so Hahlweg. Von einer einst geplanten Fünfzig-Fünfzig-Teilung sind die meisten Paare im Alltag meist weit entfernt. Elternschaft müsse erlernt werden, eine erfolgreiche Entwicklung von Familien sei keine Selbstverständlichkeit. Hahlweg rät werdenden Eltern, sich schon im Vorfeld ein realistisches Bild von dem Tagesablauf mit Kind zu machen. Sie sollten festlegen, dass der Mann (in den meisten Beziehungen ist er immer noch der Alleinverdiener), wenn er von der Arbeit nach Hause kommt, sobald er durch die Tür tritt, Familienmensch ist. Wichtig ist laut Hahlweg, dass er sich erst einmal nach dem Tag der Frau erkundigt und sich dann den Kindern widmet. "Es besteht die Gefahr, den anderen als selbstverständlich anzunehmen", sagt Hahlweg. Es sei wichtig, die Beziehung zu pflegen, gemeinsam Dinge zu unternehmen. Aber auch die kleine Gesten wie zum Beispiel, dem Partner eine Tasse Tee zuzubereiten oder ihm öfter "Ich liebe dich" zu sagen, seien Balsam für die Paarbeziehung. In einer Untersuchung der TU Braunschweig, in der Eltern von Drei- bis Sechsjährigen befragt wurden, wann sie das letzte mal als Paar zusammen ausgegangen sind, lautete die durchschnittliche Antwort: "Vor vier Monaten". "Das bedeutet riesigen Stress für Paare", sagt Hahlweg. Und Stress belaste das Familienklima. Verlässliche Babysitter können demnach zu Beziehungsrettern werden. Eltern sollten Warnsignale wie Müdigkeit, Kopfschmerzen oder das Gefühl der Überlastung rechtzeitig erkennen , ihren Lebensstil genauestens unter die Lupe nehmen und lernen zu entspannen. "Manchmal können ein paar tiefe Atemzüge und beruhigende Formeln, die Väter und Mütter zu sich selbst sagen können , oder eine 20-sekündige Muskelentspannungsübung wahre Rettungsanker für das Familienleben sein", so der Professor.

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