Bildung "in Geiselhaft"

BERLIN. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) verlangt mit Nachdruck von Bund und Ländern ein "schlüssiges Gesamtkonzept für Bildung" sowie endlich "eine anständige Bezahlung" der Lehrer, um den Beruf für den Nachwuchs wieder attraktiv zu machen.

Heute wird in weit über einhundert Ländern der "Weltlehrertag" begangen. Für die Lehrergewerkschaft VBE Anlass, sich mit dem diesjährigen Motto ,,Lehrerbildung reformieren - Lehrerprofessionalität stärken" kritisch auseinander zu setzen. Für die Politiker fällt die Bestandsaufnahme der Pädagogen nicht rosig aus. "Die Bundesländer müssen Bildung endlich aus der Geiselhaft der Finanzminister entlassen und sie wieder zu einem Edelstein machen", so die massive Forderung von Ludwig Eckinger, dem Bundesvorsitzenden des VBE auf einer Pressekonferenz in Berlin. Die Personalpolitik im Schulbereich schwanke seit Jahrzehnten zwischen händeringender Suche nach Lehrpersonal und massiven Einstellungs-Stopps, wobei stets die finanzielle Notlage und nicht die pädagogische Qualifikation im Vordergrund stünde. Eckinger: "Während Kultusminister laut von Schulqualitätsentwicklung tönen, werden Unterrichtsverpflichtungen der Lehrer weiter erhöht, Klassenstärken angehoben, Förderangebote gestrichen, Lehrerfortbildung gekürzt." Als "absolut nicht akzeptabel" bezeichnete der Lehrerverbands-Vorsitzende zudem, dass Lehramtsanwärter bei vollem Einsatz oft weniger als 1000 Euro im Monat bekämen. Mit diesem Einkommen könne man in einer Großstadt wie etwa München kaum überleben. Viele Lehrlingen verdienten heute mehr, etwa Auszubildende bei einer Bank. In ,,bedrückender Weise" zeige dies, welchen miserablen Stellenwert Bildung bei Politikern in der Alltagspraxis genieße. Geradezu abenteuerlich nannte Eckinger gestern die Vermittlung von voll ausgebildeten arbeitslosen Lehrern als Ein-Euro-Jobber in pädagogische Einsatzbereiche. So wolle etwa Berlin Ein-Euro-Jobber in vorschulische Sprachkurse für Migrantenkinder einsetzen. In Niedersachsen sollten Ein-Euro-Jobber bei Unterrichtsausfall in Grundschulen einspringen. In Bayern unterrichteten aus Spargründen jetzt sogar Förster das Fach Biologie. Dass, so Eckinger, sei nicht die Unterstützung, die Lehrer sich für ihre ,,sehr schwierige Profession" wünschten. ,,Die Billig-Lehrer-Variante wird uns noch teuer zu stehen kommen. Wir stellen fest, dass die Politik nicht wirklich Interesse an einer deutlichen Qualitätsverbesserung des Lehrerberufes hat." Angesichts der Sparzwänge an allen Ecken und Enden verliere der Lehrerberuf so weiter an Attraktivität. Dabei werde vom Lehrer heute die Rolle eines "Tausendsassas" erwartet, "der in der Schule Probleme meistern soll, die in der Gesellschaft einer Lösung harren". Derzeit sei fast jeder zweite Lehrer 50 und älter. 10 000 Planstellen seien nicht besetzt. Absehbar sei, dass im Jahr 2015 in Deutschland rund 74 000 Lehrer fehlen werden. Fast jeder dritte Lehramtsstudent breche inzwischen sein Studium vorzeitig ab, weil er sehe, dass er den hohen Anforderungen an den späteren Lehrerberuf nicht gewachsen sei und dass die Rahmenbedingungen nicht stimmten. Die Lehrerorganisation VBE forderte deshalb gestern eine "nationale Bildungsstrategie", die gemeinsam von Bund und Ländern getragen werden müsse.

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