Bonjour la Gemütlichkeit

TRIER. Typisch deutsch - was ist dran am Klischee von der Lederhosen- und Biertrinker-Nation? In einer wöchentlichen Kolumne lässt der TV Ausländer zu Wort kommen, die meist seit Jahren bei uns leben. Sie nehmen die kleinen, aber feinen kulturellen Unterschiede auf die Schippe und schildern humorvoll ihre Erfahrungen mit den Menschen der Region.

Raten Sie mal, was mein erstes deutsches Wort war. Nein, es war nicht "Guten Tag" oder "Wie geht es Ihnen?", nicht einmal "Bier" oder "Wurst" - mein erstes deutsches Wort war "gemütlich". Das geht so weit, dass ich es in meinen aktiven französischen Wortschatz übernommen habe. Im Französischen gibt es kein Wort für gemütlich. Zu einem französischen Freund sage ich jetzt "Bonjour, c'est très gemütlich chez toi!" Warum gibt es im Französischen kein Wort für gemütlich? Ganz einfach, weil es das Konzept nicht gibt. Was heißt Gemütlichkeit? Gemütlichkeit heißt drinnen bei nicht zu hellem Licht und einer Tasse Tee im warmen, schön eingerichteten Wohnzimmer sitzen, während es draußen stürmt oder schneit oder einem beim Rausgehen schon die Nasenspitze abfriert. Eine geniale Erfindung eigentlich, denn in Deutschland friert einem beim Rausgehen immer die Nasenspitze ab. Außer in den raren Momenten, wo ein schüchterner Sonnenstrahl für eine halbe Stunde ein kleines wärmendes Licht verbreitet. Da ist dann mit einem Mal die Gemütlichkeit vergessen, und alle Deutschen stürmen nach draußen aus Angst, sie könnten dieses einmalige Ereignis verpassen. In Südfrankreich, wo ich herkomme, lässt man gerne, wenn die Sonne scheint - und das tut sie dort meistens -, die Rollläden runter und wartet, dass es vorbeigeht, damit man wieder raus kann. Meine deutsche Frau hat dafür wenig Verständnis. Sobald obengenannter kleiner Sonnenstrahl sich zeigt, steht sie schon mit der Peitsche in der Hand bereit und jagt mich raus. Um eine größere Ehekrise zu vermeiden, bin ich gut beraten, sie zu einem Spaziergang zu begleiten, auch wenn ich mich hundertmal lieber auf die Couch legen würde, um vor mich hinzudösen. Wenn wir in mein Land in Urlaub fahren, muss sie sich dafür meinem Regime anpassen. Türen zu, Wohnung abgedunkelt, und rausgegangen wird erst abends um sieben, um auf der Terrasse eines Cafés einen schönen kühlen Pastis zu trinken. Und wenn wir dann nach dem Rückflug aus dem Flughafen nach draußen treten und die ersten Regenwolken auftauchen, schaue ich meine Frau seufzend an und sage "Adieu Sonne, bonjour la Gemütlichkeit!"

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