Brisante Formalien

BERLIN. Regierung und Opposition kommen bei der Zuständigkeit für die Langzeitarbeitslosen nicht auf einen Nenner. Im Bundestag überschütteten sie sich mit Vorwürfen.

Die Opposition fühlt sich schmählich hintergangen. "Das ist glatter Wortbruch", schimpfte Roland Koch, der als hessischer Ministerpräsident gestern von seinem Rederecht im Bundestag Gebrauch machte. Anlass des ungewöhnlichen Auftritts war die erste Lesung des so genannten Optionsgesetzes. Es regelt die organisatorische Zuständigkeit für die rund drei Millionen Langzeitarbeitslosen, die ab Januar 2005 das neue Arbeitslosengeld II erhalten. Nach Ansicht von CDU-Mann Koch hat die Koalition entscheidende Verabredungen im Vermittlungsausschuss ignoriert. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement gab sich unschuldig und sprach von einem Streit um Formalien. Im Kern steht freilich die rot-grüne Arbeitsmarktreform auf dem Spiel. Und spätestens hier wird es politisch brisant. Zwei Behörden schieben sich bislang die Lanzeitarbeitslosen gegenseitig zu. Die etwa zwei Millionen Arbeitslosenhilfe-Empfänger erhalten ihre Stütze aus Bundesmitteln vom Arbeitsamt. Rund eine Million arbeitsfähige Sozialhilfe-Empfänger bekommen ihr Geld von den Sozialämtern der Kommunen. Für sie stehen praktisch kaum Arbeitsangebote zur Verfügung. Das ist allen Bundestagsparteien ein Ärgernis. Über die Verschmelzung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II herrschte daher auch Einvernehmen. Während SPD und Grüne aber alle Leistungsempfänger zunächst der Nürnberger Bundesagentur für Arbeit unterstellen wollten, setzten Union und FDP auf die alleinige Zuständigkeit der Kommunen. Die einen befürchteten nämlich eine heillose Überforderung der Gemeinden, die anderen die weitere Aufblähung der Nürnberger Mammutbehörde. Im bereits verabschiedeten "Hartz-IV"-Gesetz wurde dann ein Kompromiss ausgehandelt. Danach sollen Kommunen und Arbeitsagentur über Arbeitsgemeinschaften miteinander kooperieren. Union und FDP setzten aber durch, dass Städte und Landkreise auf Wunsch auch selbst die Verantwortung für ihre Langzeitarbeitslosen übernehmen können und dazu die entsprechenden Mittel vom Bund erhalten. Die Details sollte eben jenes Optionsgesetz regeln. Länder fürchten um ihren Einfluss

Zwischen Bund und Kommunen aber existieren keine direkten Finanzbeziehungen. Dafür müsste das Grundgesetz geändert werden. In den meisten Bundesländern, ganz gleich ob Schwarz oder Rot regiert, will jedoch keine Begeisterung aufkommen. Sie fürchten um ihren Einfluss. Schließlich könnten die Kommunen noch ganz andere Begehrlichkeiten gegenüber dem Bund entdecken. Wirtschaftsminister Clement suchte die Verfassungsänderung deshalb mit einer so genannten Organleihe zu umgehen. Dabei machen sich die Kommunen die Kompetenzen der Bundesagentur zu eigen, sind aber trotzdem ihrer Weisungspflicht unterstellt. Weil das Optionsgesetz im Bundesrat aber zustimmungspflichtig und die Union dagegen ist, wird es am Ende wohl in den Papierkorb wandern.

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