Brüderle rudert zurück

MAINZ. Eine Neuauflage des sozialliberalen Bündnisses steht in Berlin nicht vor der Tür. Zumindest nicht zurzeit. Mit dieser Botschaft versucht FDP-Bundesvize Rainer Brüderle politischem Wirbel zu begegnen, den er mit Lobreden auf Beck und neue Gemeinsamkeiten mit der SPD entfacht hat.

Wellenschlag zu produzieren, gehört bei Rainer Brüderle wie kaum einem andern zum politischen Geschäft - späteres Zurückrudern eingeschlossen. Am Wochenende lobte der frühere Mainzer Superminister seinen Ex-Koalitionspartner Kurt Beck und das immerhin 15 Jahre währende sozialliberale Bündnis in Rheinland-Pfalz in derart hohen Tönen, dass es offensichtlich nicht nur den Berliner Groß-Koalitionären mulmig wurde und vor allem den CDUlern bitter aufstieß. Er habe weder eine SPD/FDP-Koalition ausgerufen noch von einer Ampel zusammen mit den Grünen gesprochen, sagte Brüderle im Gespräch mit dem TV, nachdem die Diskussion über seine Äußerungen begonnen hatte, die Gazetten zu füllen. Da jedoch "die Nerven in der großen Koalition blank liegen", wurde ein Gespräch einiger Abgeordneter von SPD und FDP zur Umweltpolitik, an dem auch Brüderle teilnehmen wollte, in dieser Woche rasch abgesagt, um weiteren Spekulationen keine neue Nahrung zu geben. Die erhielten vor dem Hintergrund des Ärgers zwischen CDU und SPD um die Gesundheitsreform (siehe Artikel oben) ohnehin einen "anderen Zungenschlag". Ausloten, was geht, will Brüderle in Gesprächen mit anderen Fraktionen trotzdem weiter. Denn die große Koalition wird nach seiner Überzeugung die Wahlperiode nicht zu Ende bringen. Und dann gilt es, vorbereitet zu sein und über Kontakte zu verfügen. Vor einer Neukonstellation stehen für Brüderle jedoch Neuwahlen. Für ein konstruktives Misstrauensvotum sieht der stellvertretende FDP-Partei- und Fraktionschef keine Basis. Ansonsten bleibt es laut Brüderle dabei, dass Gespräche zwischen den Fraktionen "nichts Ungewöhnliches" sein dürfen. Wenn Beck es schaffe, die SPD auf einen pragmatischen und bürgernahen Kurs zu bringen, wären die Genossen auch für die Liberalen ein Koalitionspartner, mit dem sich einiges zu Stande bringen ließe - selbst bei unterschiedlichen Ansätzen in der Steuer- und Sozialpolitik. Entscheidend ist für Brüderle der "anständige Umgang" miteinander - so wie in guten alten Mainzer Zeiten. Daher ist es für den umtriebigen Liberalen gut, wenn man sich nicht aus den Augen verliert. Mit "Umgarnen" hat das für ihn überhaupt nichts zu tun.Kurt Beck bleibt relativ gelassen

Beck selbst wäre an den jetzt abgesagten Gesprächen nicht beteiligt gewesen und sieht die losgetretenen Koalitionsspekulationen dem Vernehmen nach relativ entspannt. Da eine Ampel derzeit vielleicht im Bundestag eine Mehrheit bekäme, im Bundesrat jedoch nichts durchsetzen könnte, ist für den SPD-Chef jede aktuelle Überlegung in diese Richtung derzeit ohnehin sinnlos. Gleichwohl wird in Becks Umgebung nicht ohne Stolz darauf verwiesen, dass mit der Übernahme des Parteivorsitzes durch den Mainzer Regierungschef Bewegung in die Koalitionsdiskussionen gekommen ist. Selbst wenn die Wertschätzung für die langjährige, bewährte sozialliberale Kooperation in Rheinland-Pfalz hochgehalten wird, geht ihm ein ganz anderes Kalkül durch den Kopf: Er will seine Partei - und sich - angesichts des Streits zwischen Merkel und ihren Landesfürsten als stabilisierende Kraft präsentieren und weiter an Profil gewinnen. Über einen Mainzer Bund für Berlin kann später immer noch nachgedacht werden.

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