Bush empfängt "lahme Enten"

WASHINGTON. In den USA fürchtet man, dass die Europäer durch die Turbulenzen um die EU-Verfassung von akuten Weltproblemen abgelenkt werden könnten.

Für Suzanne Mapes und ihren Ehemann Rick sind die Nachrichten von den Turbulenzen um die EU-Verfassung eine frohe Botschaft. "Unsere Reise durch Frankreich, Italien und Griechenland ist bereits viel günstiger geworden," so das Ehepaar aus Long Beach (Kalifornien) zum jüngsten Kursverfall des Euro. Und auch US-Reiseveranstalter haben Grund zum Jubeln: Sie registrierten in den vergangenen Tagen einer Umfrage zufolge verstärkte Nachfrage nach europäischen Metropolen - Ziele, die durch den gut zehnprozentigen Kursgewinn des Dollar seit Jahresbeginn für Touristen aus den USA wieder erschwinglicher geworden sind.Weißes Haus für türkischen EU-Beitritt

Doch während Europa-Besucher Grund zum Frohlocken haben, ist von Schadenfreude auf politischer Ebene in Washington bisher nichts zu spüren. Im Gegenteil: US-Außenministerin Condoleeza Rice betonte am Donnerstag nach einem Treffen mit dem EU-Außenbeauftragten Javier Solana, man habe in "besonderes Interesse an einem vereinigten und starken Europa". Diplomatisch vermied sie eine Bewertung der gescheiterten Verfassungsreferenden und unterstrich stattdessen nochmals den Wunsch des Weißen Hauses nach einem EU-Beitritt der Türkei. Dieses und andere mit dem EU-Bereich verbundene Themen dürften in den kommenden Wochen insbesondere auch mit deutschen Politikern diskutiert werden, stehen noch in diesem Monat gleich zwei Stippvisiten von Mitgliedern des Bundeskabinetts in Washington an: In der kommenden Woche hält sich Joschka Fischer zwei Tage lang in der US-Regierungshauptstadt auf, am 27. Juni empfängt dann US-Präsident Bush zum zweiten Mal in seiner Amtszeit Bundeskanzler Gerhard Schröder im "Oval Office". Dazwischen liegt auch noch der USA/EU-Gipfel am 20. Juni in Washington, gefolgt von einem weiteren Treffen beider Seiten zwei Tage später in Brüssel zum Schwerpunkt-Thema Irak. Nach Ansicht von US-Experten kommen angesichts dieser Vielzahl an Gesprächsterminen die Situation innerhalb der EU und die Fragen zur Überlebensfähigkeit der Gemeinschaft für Bush zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt. "Ausgerechnet in dem Augenblick, wo der Präsident eine engere Beziehung zu Europa entwickeln will, um bei internationalen Krisen voranzukommen, ist die EU-Spitze vor allem mit sich selbst beschäftigt," analysiert Simon Serfaty, außenpolitischer Wissenschaftler an der Universität von Norfolk (Virginia). Außenministerin Rice mahnte deshalb jetzt auch gegenüber Solana an, man hoffe, dass "Europa weiter nach außen und nicht nur nach innen blickt". Doch mit Ablenkung und sinkendem Interesse rechnet man jetzt aus US-Sicht bei so drängenden Themen wie den beunruhigenden nuklearen Ambitionen des Iran, der Suche nach einem dauerhaften Frieden zwischen den Palästinensern und Israel sowie der Frage, wie Europa bei der Stabilisierung des Irak helfen kann. In all diesen Bereichen hatte Bush mit ungeteilter Aufmerksamkeit der EU gerechnet. Die deutschen USA-Reisenden Joschka Fischer und Gerhard Schröder können indes in diesem Monat nicht mit der sonst üblichen Aufmerksamkeit rechnen: Da man auch in Washington die Umfragen und Stimmungslage in Deutschland kennt, gelten sowohl der Kanzler wie auch sein Außenminister nun als "lame ducks" ("lahme Enten"). So bezeichnet man in den USA gewöhnlich Politiker, bei denen das Ende der politischen Machtstellung absehbar erscheint.

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