Chaos an der Steuerfront

Kaum hat die neue Bundesregierung ihre erste Personalkrise leidlich überstanden, brennt es an einem anderen zentralen Frontabschnitt lichterloh: Mindestens fünf von elf CDU-Ministerpräsidenten stellen das Wachstumsbeschleunigungsgesetz in Frage.

Berlin. Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz will Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Bürger und Unternehmen schon zum 1. Januar um 8,5 Milliarden Euro entlasten. Sollte sich das Projekt tatsächlich verzögern, wäre Schwarz-Gelb bis auf die Knochen blamiert.

Am Anfang stand der Ärger über die geplanten Steuernachlässe bei Hotelübernachtungen. Nun machen einige CDU-regierte Länder grundsätzlich gegen den Steuerkurs der Bundesregierung mobil. "Ihr habt sie doch nicht alle", soll sich Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen in der vergangenen Woche bei Merkel über die drohenden Einnahmeausfälle für sein Land beschwert haben. Saarlands Regierungschef Peter Müller schlug in die gleiche Kerbe: An der Saar gelte das "hoch drei".

Am Wochenende stimmten Thüringen und Sachsen-Anhalt ein: Von "nicht verkraftbaren" Ausfällen sprach Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht. Und ihr Magdeburger Amtskollege Wolfgang Böhmer assistierte: "Im Augenblick sehe ich keine Möglichkeit, dem Gesetz zuzustimmen". Zuvor hatte sich schon Sachsen dagegen verwahrt, wegen der Steuersenkungen neue Schulden machen zu müssen.

Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz sieht neben der Neuregelung bei Hotelübernachtungen eine Anhebung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages sowie Steuererleichterungen für Betriebe und Erben vor. Am 18. Dezember soll der Bundesrat darüber abstimmen. Falls sich keine Mehrheit findet, käme es zu einem Vermittlungsverfahren. Dadurch wäre der 1. Januar als Termin des Inkrafttretens nicht mehr zu halten. Für ein positives Votum braucht Merkel alle Stimmen der schwarz-gelben Landesregierungen. Dazu gehören auch Schleswig-Holstein und Sachsen. Ohne ihr Zutun wäre das Gesetz einstweilen gestoppt.

Auch beim Thema Arbeitsmarkt hakt's



Dass insbesondere die ärmeren Länder gegen Merkels Pläne Front machen, ist kein Zufall. Aus ihrer Sicht stehen sie im Widerspruch zur beschlossenen Schuldenbremse, wonach die Länder-Etats ab 2020 grundsätzlich ohne neue Kredite auskommen sollen. Um dieses Ziel zu erreichen, bekommt zum Beispiel Schleswig-Holstein eine jährliche Sanierungshilfe von 80 Millionen Euro überwiesen. In Kiel rechnet man nun vor, dass das Wachstumsbeschleunigungsgesetz aber gleichzeitig Steuerausfälle von jährlich etwa 100 Millionen Euro verursache. Für das Saarland würden sich die Mindereinnahmen durch das geplante Gesetz auf 40 Millionen Euro pro Jahr belaufen.

In früheren Zeiten pflegten Bundesregierungen Extra-Geschenke zu verteilen, um sich die Länderkammer für umstrittene Vorlagen gefügig zu machen. So hatte sich zum Beispiel Gerhard Schröder (SPD) vor neun Jahren ein "Ja" für seine Steuerreform mit finanziellen Zugeständnissen an das damals noch CDU-regierte Berlin gesichert. Dieser Weg geht Merkel aber gegen den Strich. "Wir pokern nicht", ließ sie Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) den Länderfürsten ausrichten.

Für die Opposition ist das schwarz-gelbe Steuer-Chaos eine politische Steilvorlage. "Das zeigt, in welchen Zustand sich die Wunschkoalition schon nach wenigen Wochen befindet", spottete SPD-Fraktionsvize Joachim Poß im Gespräch mit unserer Zeitung. "Die einzig richtige Konsequenz ist: Die abenteuerlichen Steuersenkungspläne müssen vom Tisch". Die Finanzexpertin der Grünen, Christine Scheel, meinte: "Die Länder sind offenkundig klüger als Schwarz-Gelb im Bund, weil sie wissen, dass die Steuersenkung nicht den Wachstumseffekt hat, um sich selbst zu finanzieren".

Die Steuerpolitik ist übrigens nicht das einzige Konfliktfeld bei Bund und Ländern. Auch in Sachen Arbeitsmarkt hakt es gewaltig. In der Vorwoche hatten die Länderarbeitsminister den Plan ihres inzwischen gescheiterten Kollegen Franz Josef Jung zur verfassungsrechtlich gebotenen Neuorganisation der Jobcenter fast einhellig abgelehnt. Nur Baden-Württemberg enthielt sich. Nun muss Jungs Nachfolgerin Ursula von der Leyen (CDU) die Scherben zusammenkehren.

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