Damen kämpfen für einen Mann

BERLIN. Wo sonst die Radprofis beim Berliner Sechs-Tage-Rennen ihre Runden drehen, haben sich die Grünen zu einem Abstimmungsmarathon über ihr Wahlprogramm versammelt. Außerdem lieferten sie sich im Velodrom eine Auseinandersetzung um Joschka Fischer als alleinigen Spitzenkandidaten.

Zum Schluss wird es doch noch eine Krönungsmesse: Joschka Fischer läuft über die grün illuminierte Bühne und ruft: "Wir werden gemeinsam kämpfen, und dann drehen wir das auch gemeinsam herum." Dahinter hat sich das "Spitzenteam" von Claudia Roth und Reinhard Bütikofer bis Krista Sager und Renate Künast aufgereiht. Plötzlich rückt ein Plakat mit dem Slogan "Der Sommer wird grün" ins Bild. Gemeinsam gehen die Hände nach oben. Fischer wirft Blumen in den Saal. Das Publikum klatscht im Rhythmus bekannter Reggae-Klänge. Schöne Motive. Sie sollen von Optimismus und Siegeszuversicht künden – eben weil es ganz und gar nicht nach einem grünen Sieg bei der wahrscheinlich am 18. September stattfindenden Bundestagswahl aussieht. Zu ihrem Wahlprogramm lagen den Delegierten mehr als 800 Änderungsanträge vor. Dank einer geschickten Parteitagsregie wurden die Papierberge auf ein erträgliches Maß eingedampft. Trotzdem blieb genügend Diskussionsstoff. Beschlossen wurden eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes, verbesserte Kinderbetreuung, höhere kommunale Investitionen und eine Entschärfung der Hartz-Gesetze. Woher das Geld für alle Wohltaten kommen soll, wollte sich nicht recht erschließen. Kampf den bösen Geistern der Opposition

Das größte Konfliktpotenzial offenbarte sich freilich an einem Punkt, der gar nicht im Programmentwurf enthalten war. Unmittelbar nach der Kanzler-Ankündigung für Neuwahlen am 22. Mai hatte der Parteirat Außenminister Joschka Fischer zum Spitzenkandidaten ausgerufen. Ein Verfahren, das an der Basis auf Verärgerung stieß. Der Kreisverband Berlin-Pankow brachte deshalb die "Nachnominierung" einer Spitzenkandidatin in Umlauf. Er führte das Argument der "geschlechtergerechten" Doppelspitze ins Feld, die bei allen maßgeblichen Leitungsposten der Grünen praktiziert wird. Mit Parteichefin Claudia Roth, Verbraucherministerin Renate Künast und der früheren NRW-Umweltressortchefin Bärbel Höhn bot der Vorstand gleich drei potenzielle Anwärterinnen zur "Gegenrede" auf. Unter verbalen Verrenkungen bekannten sie sich zu Fischer als "stärkstem Spitzenkandidaten". So vehement hätten die grünen Damen noch nie für einen Mann gekämpft, witzelten Delegierte. Die schlichte Wahrheit, wonach der Gepriesene im Gegensatz zu allen anderen Grünen-Spitzen immer noch Plätze mit tausenden Zuhörern füllt, kam offiziell nicht zur Sprache. Trotzdem wusste eine knappe Mehrheit um dieses "Verkaufsargument" und schmetterte den Pankower Antrag ab. Auch sonst war Joschka Fischer der Star dieses Parteitages. In einer leidenschaftlichen, aber zuweilen ungeordneten Rede (der Außenminister war erst kurz vorher aus London zurückgekehrt) suchte er die bösen Geister einer nahenden Opposition zu verscheuchen. Auch die ausführlichen Passagen über mehr soziale Gerechtigkeit wärmten die Herzen des Publikums. Kein Wunder, dass ausgerechnet die sonst eher von Fischer geschmähte Parteilinke ins Schwärmen kam. Der baden-württembergische Grünen-Abgeordnete Winfried Hermann freute sich: "Das war eine Klasse linke Rede."

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