„Dann wird sich die Lage verändern“

BERLIN. Im Interview mit dem Trierischen Volksfreund gibt sich der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering für die bevorstehende Bundestagswahl kämpferisch.

Herr Müntefering, warum soll man eigentlich noch SPD wählen?
Müntefering: Weil die SPD die Partei ist, die am ehesten für soziale Gerechtigkeit steht. Das ist eine schwierige Aufgabe, aber wir sind die einzigen, die das ehrlich versuchen. Viele Menschen sind auch von Rot-Grün kuriert.

Sie sind 1998 angetreten mit dem Ziel, die Arbeitslosigkeit spürbar zu senken. Jetzt sind mehr Menschen arbeitslos als je zuvor.

Müntefering: Das stimmt nicht. Unter der Regierung Kohl wurden die Sozialhilfeempfänger nicht mitgezählt, und es gab Hunderttausende Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM). Aber es ist richtig, dass wir unser Ziel nicht erreichen konnten. Deshalb haben wir ja die Agenda auf den Weg gebracht, um die Voraussetzungen für neue Arbeitsplätze zu schaffen. Deshalb haben wir die Einkommensteuer und die Unternehmenssteuern gesenkt, um deren Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Die jüngsten Konjunkturdaten bestätigen das auch.

Zum Wahlkampf: Sind 33,5 Prozent (das SPD-Ergebnis von Kanzlerkandidat Lafontaine von 1990) eigentlich auch ein schöne Ergebnis?
Müntefering: Ich mach das nicht an Zahlen fest. Ich weiß, dass viele Menschen noch unsicher sind, wen sie wählen sollen. Und wenn bis zur Wahl noch deutlicher wird, was Union und FDP wirklich wollen - höhere Mehrwertsteuer, Besteuerung der Nacht- und Sonntagszuschläge, Pendlerpauschale weg, Sparerfreibetrag weg, Kündigungsschutz weg - werden viele wissen, dass sie bei uns besser aufgehoben sind. Unser Ziel heißt, stärkste Partei zu werden.

Frage: Und daran glauben Sie wirklich? Sind Sie ein Utopist?
Müntefering: Nein, bin ich nicht. Aber es ist zu spüren, dass die Stimmung sich verändert. Vor sechs Wochen hatten wir 25 Prozent, jetzt liegen wir bei 30, damals hatte die Union 48, heute haben sie 42 - wenn das so weitergeht, bin ich guter Dinge, dass wir das Blatt noch wenden können.

Und was haben Sie dann davon? Erst kürzlich hat kein Geringerer als Bundeskanzler Schröder gesagt, Rot-Grün passe "nicht in die Zeit".
Müntefering: Rot-Grün hat sieben Jahre lang eine gute Politik gemacht: Die Exporte sind um 49 Prozent gestiegen, in der Gesellschaftspolitik sind enorme Fortschritte erzielt worden. Allerdings sind Koalitionen keine Liebesheiraten, sondern Zweckbündnisse. Da muss man nüchtern mit umgehen. Wir sind uns aber einig, auch mit dem Bundeskanzler,
dass es sehr sinnvoll wäre, wenn wir mit den Grünen weiterregieren könnten. Das ist beste politische Formation für Deutschland.

Selbst wenn sich das Wunder von 2002 wiederholen würde: An den Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat ändert sich nichts. Sie könnten nicht vernünftig regieren, deshalb wollten Sie doch Neuwahlen.
Müntefering: Wenn wir die Wahl gewinnen, dann wird sich die psychologische Situation im Lande dramatisch verändern. Die meisten Bundesländer haben selbst enorme Haushaltsschwierigkeiten, und die Ministerpräsidenten der CDU werden auch nicht nach der Pfeife von Frau Merkel tanzen - wenn die nach einer verlorenen Wahl überhaupt noch was zu sagen hat.

Apropos Merkel: Spricht irgend etwas gegen eine Frau als Bundeskanzlerin?
Müntefering: Weiblichkeit allein reicht nicht aus. Angela Merkel ist politisch zweite Liga, sie hat nicht das Format für dieses Amt.

Macht Ihnen die Linkspartei Sorgen? Und waren Sie es nicht selbst, der mit der Ausrufung von Neuwahlen diese Formation erst ermöglicht und stark gemacht hat?
Müntefering: Das ist falsch. Es gab ja schon länger diese Tendenzen, Lafontaine hatte wiederholt seinen Übertritt angekündigt. Das Projekt wäre mit Zielrichtung 2006 nur systematischer organisiert worden. Man sieht ja jetzt, dass der Charme dieser Gruppe schon wieder schwindet. Das Ergebnis wird längst nicht so gut, wie sich das einige erhofft haben.

Aber die Linkspartei wird nach Lage der Dinge in den Bundestag einziehen. Werden Sie mit ihrem ehemaligen Parteifreund Lafontaine kollegial umgehen oder werden Sie ihn schneiden?
Müntefering: Wir würden den sachlichen Umgang pflegen, wie das unter Kollegen üblich ist. Aber es wird keinerlei Form der Zusammenarbeit geben.

Mit Franz Müntefering sprachen unserer beiden Korrespondenten Bernard Bernarding und Stefan Vetter

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