Drogenentzug: Das Experiment

Trier/Saarbrücken · Drogen nimmt Jochen seit Jahrzehnten, vor sechs Jahren erstmals Heroin - mit lebensbedrohlichen Folgen. Heute konsumiert er Methadon.

 Apotheken bereiten die Ersatzdroge Methadon aus einer Lösung zu. Diese wird mit einem Sirup zähflüssig gemacht, damit Süchtige sie nur trinken und nicht in ihre Venen spritzen können.

Apotheken bereiten die Ersatzdroge Methadon aus einer Lösung zu. Diese wird mit einem Sirup zähflüssig gemacht, damit Süchtige sie nur trinken und nicht in ihre Venen spritzen können.

Foto: Sebastian Klipp

Ein knappes Jahr war Jochen* (Name geändert) (37) nicht mehr dort, im Drogenhilfezentrum (Hifi) in Saarbrücken. Er will uns seine Geschichte einer 20-jährigen Drogenkarriere und den Weg daraus nicht nur erzählen, sondern zeigen. Deshalb tritt er mit uns die Bahnreise von Trier aus an. Aus der Sucht geholfen hat ihm die Substitution mit der Ersatzdroge Methadon. Drogen trieben ihn einst zum Selbstmordversuch, retteten ihm dann das Leben, und vielleicht werden sie nun seine berufliche Zukunft.

Abfahrt Trier Hauptbahnhof Einen Vierersitz haben wir im Zug ergattert, und Jochen plappert locker drauf los: "Wenn ich eigentlich meine Freundin in Saarbrücken besuchen wollte, bin ich oftmals stattdessen zur Hifi (siehe Info), um dort Heroin zu nehmen. Ich dachte ich sei clean, war aber noch nicht so weit. Dann ist während der Fahrt immer mehr das Gefühl gekippt: von Ablehnung der Drogen bis zu kindlicher Vorfreude." Das Zugrauschen begleitet sein stetes Wippen mit dem Fuß. Nervosität? "Hier kommst du schneller an einen Schuss als an einen Big Mac", sagt er. Saarbrücken und Luxemburg seien für den Trierer die schlechtesten Städte. Deshalb habe er innere Sicherheitsmaßnahmen getroffen. Wenn sein Gefühl diesmal kippt: Abbruch. Das heißt, sofort die Hifi verlassen. "Es wäre gut, wenn wir zusammenbleiben, wenn wir reingehen", sagt der 1,90 Meter große Mitdreißiger. Das hier ist für ihn ein Experiment, eine Reise in die Vergangenheit - in der er statt der Ersatzdroge Methadon noch Heroin konsumierte. Das Verlangen danach soll durch das Substitut unterdrückt werden und die Entzugssymptome verhindern. Tatsächlich sieht man ihm die Abhängigkeit nicht mehr an: eine offene Art, selbstbewusste gerade Haltung, gepflegter Dreitagebart und oft ein Grinsen im Gesicht. Ganz anders als das Stereotyp eines suizidgefährdeten Heroineinsteigers. Wie kam es überhaupt zur Sucht?

Zwischenhalt Saarburg Er berichtet, wie eine unglückliche Liebesgeschichte ihm mit 32, also vor fünf Jahren, den Lebenswillen geraubt hat. Zehn Jahre war er mit einer Frau zusammen. "Sie war mein Fels." Bis sie den Kontakt abbricht: für ihn ein völliger Vertrauensverlust. Fels zerbröckelt. Zusätzlich folgt die soziale Isolation, die er sich selbst nicht erklären kann. "Freunde waren mir immer das Wichtigste. An Geburtstagen war meine Bude meist zu klein. Nun nichts mehr. Nur Ausflüchte." Die Idee verfestigt sich, sich von einem Bekannten den ersten und finalen Schuss Heroin zu besorgen. Das Ziel: Selbstmord mit einer Überdosis. Na ja, nicht ganz, auch ein Experiment: "Ich wollte es wenigstens mal probieren, bevor ich mich komplett wegschieße." Am Tag, der sein Leben verändert, betrinkt er sich schon morgens mit Wodka. Abends geht dann die Spritzennadel in die Vene. "Ich war enttäuscht vom Effekt. Von so einem Scheiß sollen Leute sterben? Alle anderen Dinge, die ich vorher konsumiert hatte, waren krasser. Diesmal: ein wohliges Gefühl im Nacken, mehr nicht." Daraufhin vergeht der Selbstmordgedanke, er fühlt sich wie abgedämpft. Haben ihm die Drogen das Leben nun gerettet? Er nickt. "Ich habe schon gegoogelt. Nur nichts Besseres gefunden. Das eine dauert zu lang, das andere ist zu schmerzhaft." Seit seinem vierzehnten Lebensjahr nimmt Jochen Drogen. Er testet Haschisch, LSD, Kokain, die Liste ist lang. "Ich war aber nie der Typ, der psychisch von etwas abhängig war. Zwischen Missbrauch und Gebrauch ist ein schmaler Rahmen", sagt er, und meint, bis zum Heroinschuss alles unter Kontrolle gehabt zu haben.

Hauptbahnhof Saarbrücken Angekommen beim Saarbrücker Bahnhof geht es auf die St. Johanner Straße. Wir lassen die Apotheke rechts liegen, wo sich Jochen früher immer sein Besteck kaufte: Etwa Nadel, Alkoholtüchlein oder Ascorbinsäure gehören zum Junkie-Bedarf. Heute schluckt er sein Methadon. Risiken wie infiziertes Dealer-Besteck gibt es dabei nicht mehr. Überall lauern Erinnerungen auf dem Weg zur Hifi. Ein paar Straßen weiter, auf einem Parkplatz, stehen abends oft Bekannte von Jochen. Die gehen für den Schuss anschaffen. Kurz vor der Drogenhilfe, beim Berg die Brauerstraße hoch, war er sonst schon voller Adrenalin und Vorfreude auf den Schuss. Heute ist er gelassen - dank des Substituts. Wegen Bauarbeiten ist das Eisentor der Hifi geöffnet, sonst muss man klingeln und sich ausweisen. Schließlich kommt man erst ab 18 rein. Heute hätten Kinder hereinspazieren können. Einen Dealer mit osteuropäischem Akzent wimmelt Jochen ab. Drinnen, im schmalen Hof, grüßt er eine alte Bekannte. Hier und dort sitzen Besucher in kleinen Grüppchen - alle freundlich. Manche Gesichter sehen nach der Dauer zweier Leben aus, die Haut fahl, die Augen leer. Wir treffen Eva Wache, Leiterin des Hilfezentrums, die uns mit einem warmen Lächeln empfängt.

Im Saarbrücker Drogenhilfezentrum "Wir sind eine Einrichtung der akzeptierenden Drogenhilfe", sagt Wache. Das heißt: "Wir helfen also Menschen, die nicht zu einem radikalen Umbruch bereit sind." Dazu gehören dort auch eine Küche und Infektionsprophylaxe. Benutztes Fixerbesteck kann gegen neues ausgetauscht werden. Im sogenannten Konsumraum sitzen Abhängige und nehmen ihre selbst mitgebrachten Drogen - quasi unter Aufsicht. Wer eine Überdosis hat, dem kann hier schnell medizinisch geholfen werden. Seit es diesen Raum gibt, gebe es im beliebten Nauwieser Viertel kaum noch Drogenkonsum. Der werde damit aus dem öffentlichen Raum hierhin verlagert. "Wer sich aber rückfallgefährdet fühlt, ist hier in der Höhle des Löwen", sagt Wache mit Blick auf Jochen. Als wir das Zentrum verlassen, bekommt er noch Lob von einer bekannten Heroinabhängigen: "So niedrig dosiert", sagt sie und meint die Dosis seiner Ersatzdroge. Andere beneiden ihn um den Erfolg mit der Substitution.

Rückweg: Auf der Rückfahrt rückt Jochen dann damit raus, wie es eigentlich zur Substitution bei ihm kam. Während er sich eine Zigarette dreht, erklärt er: "Alle, die wir getroffen haben, bis auf eine, waren Damen mit Erfahrung." Erfahrung? "Ja, mit Sex Geld für Drogen zu beschaffen." Das sei der gängige Weg, wenn das Geld ausgehe. "Das war der Punkt, als ich sagte, hier ist Schluss." Als das Geld aus war und seine damalige Freundin sich überlegte, auf den Strich zu gehen. Der Weckruf kam vor drei Jahren und führte ihn letztendlich in die Substitution. Jochen ging dann mit seiner Freundin zur Tür, einer Suchtberatung in Trier. Er interessierte sich für Langzeittherapien. Verschiedene Versuche zur Abstinenz scheiterten jedoch. Dann geriet er an die Adresse von Dr. Goldbecker. Der Hausarzt ist der einzige verbliebene Mediziner in Trier, der noch Substitute verschreibt und somit Patienten wie ihm einen Weg zurück in den Alltag ermöglicht. Seit einem Jahr nimmt Jochen nur noch das Substitut Methadon, kein Heroin mehr. Seine Ersatzdroge habe er fast auf null Milligramm gedrosselt, berichtet er. Es gebe wohl Nebenwirkungen: Müdigkeit, Verdauungsprobleme oder geringe Libido. Das sei aber alles auch egal: "Hauptsache aus dem Mist rauskommen. Jetzt macht das Leben wieder richtig Spaß. Er verspürt keinen Suchtdruck mehr, fühlt sich so stabil, dass er sich auch um seinen kranken Opa kümmert. Früher kümmerte er sich nur um den nächsten Schuss.
Das Methadon ermöglicht ihm den Alltag, den vorher das Heroin bestimmte. "Ohne richtigen Scheiß kannst du nicht erkennen, was Glück ist." Sein Glück will er weitergeben. Er möchte eine soziale GmbH aufbauen - mit dem Ziel, in der Region eine Hifi wie in Saarbrücken aufzubauen. Beim Arbeitsamt war er bereits, der nächste Schritt soll ein IHK- Business-Plan sein. Da die Gesetzeslage in Rheinland-Pfalz dafür etwas schwieriger ist als im Saarland, steht er noch vor Herausforderungen - gibt aber nicht auf. Wie es ihm geht nach diesem Reise-Experiment? "Super, ich hätte auch alleine in der Hifi sein können."Extra: DROGENHILFEZENTRUM SAARBRÜCKEN

Das Drogenhilfezentrum Saarbrücken (Hifi) hat täglich geöffnet. Das Angebot reicht vom Spritzentausch über den Drogenkonsumraum bis hin zur anonymen und kostenlosen HIV- und Hepatitis-Beratung. 2015 besuchten 540 Abhängige die Hifi. Der Durchschnittsbesucher ist deutsch (85 Prozent), 36 Jahre alt und männlich (77 Prozent). Das Bundesbetäubungsgesetz erlaubt solche Konsumräume. Rheinland-Pfalz ist allerdings eines der Länder, die dabei nicht mitmachen.

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