Das Kabinett begibt sich in Schmuse-Klausur

Die Koalitionsverhandlungen sind beendet, und endlich kann die neue schwarz-gelbe Bundesregierung mit dem Regieren beginnen. Bei einer Kabinettsklausur in Meseberg ging es aber doch ums interne Klima.

Meseberg. Die Sonne scheint über Schloss Meseberg, die Wildgänse ziehen. Angela Merkel und Guido Westerwelle lächeln sich an und blicken dann gefällig auf zwei, die ihnen im barocken Gartensaal gegenübersitzen: Rainer Brüderle, FDP-Wirtschaftsminister mit Hang zu teuren Steuerversprechungen, und Wolfgang Schäuble, CDU-Finanzminister mit Hang zum Bremsen. Selbst sie verstehen sich. Die Operation schwarz-gelber Klassenausflug scheint gelungen.

Zu Beginn der zweitägigen Klausur in dem kleinen Schloss, das der Bundesregierung als Gästehaus dient, sagt Merkel den versammelten Ministern am Dienstag, die Koalitionsverhandlungen seien vorbei. Das müsse jetzt auch für das Konkurrenzdenken gelten: "Wir müssen uns gegenseitig den Erfolg gönnen".

Westerwelle äußert sich ähnlich. Man müsse nun deutlich machen, dass es sich hier um eine "Wunschkonstellation" handele und nicht um eine Zwangsehe. "Es geht also auch nicht nur um das große Weltklima, es geht auch um das kleine Klima." Die Devise lautet also: Bitte recht freundlich. Das gelingt beim Gruppenfoto am Mittwoch schon ganz gut. Der Termin wird wiederholt, weil beim ersten Mal am Dienstag Verkehrsminister Ramsauer nicht mit auf dem Bild ist. So nett geht man miteinander um.

Glaubt man Teilnehmern, dann gibt es den ersten positiven Stimmungsdurchbruch, als Schäuble sich am Dienstagabend bereiterklärt, draußen vor der Presse zu verkünden, dass die für die Zeit nach 2011 vereinbarte Steuerreform im Wert von 24 Milliarden Euro selbstverständlich kommt, inklusive Stufentarif. "Steht ja im Koalitionsvertrag, und der gilt", sagt Schäuble. Noch weiß allerdings niemand, wie das finanziert werden soll, und Schäuble lässt sich nebenbei einige Eckpunkte bestätigen. Etwa, dass der Haushaltsentwurf 2010 die Rekordverschuldung von 86 Milliarden Euro nicht übersteigen dürfe. Das bedeutet für alle Ressorts: Sparen. Oder dass ab 2011 sowohl die Schuldenbremse als auch die EU-Defizitgrenzen eingehalten werden. Auf diese Verabredungen wird der Minister, das darf man annehmen, noch zurückkommen.

Ein "gemeinsames Verständnis von den Aufgaben", stellt die Kanzlerin fest, habe sich ergeben. Ihr fallen die Attribute "intensiv" und "dicht" für die Gespräche ein, Westerwelle auch noch "harmonisch". Das gilt besonders für den Kennenlernabend am Dienstag. Er findet im Weinkeller statt, bei rustikaler Brandenburger Küche: Gänsekeule, Kassler, Grünkohl, Fisch. Danach plauscht man lange miteinander, es gibt israelischen Rotwein, den die Konsumenten hinterher als "relativ schwer" einstufen. Um Mitternacht singen alle "Happy Birthday" für Staatsminister Eckart von Klaeden, der 44 wird. Keiner fährt zurück ins 70 Kilometer entfernte Berlin, alle übernachten im Schloss. Morgens trifft man sich ungezwungen beim Frühstück wieder.

Draußen am Zaun steht zwischen den Übertragungsstationen der Fernsehsender ein einsamer Demonstrant, der gegen das Rauchen protestiert. Die Sicherheitsleute lassen ihn unbehelligt.

Die Koalition einigt sich in vielen Fragen - auf die Bildung von Kommissionen. Eine für die Folgen der demografischen Entwicklung. Eine weitere für ein nationales Energiekonzept, eine dritte für die große Gesundheitsreform. Am 2. Dezember soll es außerdem einen "Gipfel" zur Bewältigung der Folgen der Krise mit Vertretern der Wirtschaft, der Gewerkschaften und der Banken geben. "Schöne Bilder, aber keine Substanz", so hatte FDP-Generalsekretär Dirk Niebel die Meseberg-Klausur der Großen Koalition vor zwei Jahren bezeichnet. Das würde auch für diese zutreffen. Jetzt aber sitzt Niebel als Entwicklungshilfeminister selbst mit am Tisch und wirkt ganz stolz.

Am Mittwochnachmittag rauschen die schwarzen Limousinen über die Brandenburger Chausseen wieder zurück nach Berlin. Über dem flachen Land ziehen Wolken auf, ein Sturm zerrt an den Bäumen und Sträuchern des Gästehauses. Die schönen Tage von Meseberg sind vorbei. Das schwarz-gelbe Regierungsabenteuer hat endgültig begonnen.

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