Das Projekt Kind

TRIER. Fördern, fordern, immer früher, immer mehr: Die Angst, ein Talent unentdeckt zu lassen oder Fehler zu machen, hängt heute wie ein Damoklesschwert über Eltern und setzt Kinder unter Druck. Psychologe Wolfgang Drehmann von der katholischen Lebensberatungsstelle in Trier rät zu Gelassenheit.

"Ich habe jetzt schon Bauchschmerzen wegen der Mathe-Arbeit, die wir am Montag schreiben", sagt Tina S. Die 36-jährige Mutter einer Tochter hat längst das Abitur in der Tasche. Dass Eltern sich stark mit ihren Kindern identifizieren, ist ein "Symptom", das Psychologe Wolfgang Drehmann heute häufig beobachtet. "Kindheit muss gelingen. Kinder werden zum Projekt ihrer Eltern, die häufig versuchen, sich in ihrem Nachwuchs selbst zu verwirklichen", sagt Drehmann. "Da Mann und Frau heute meist genau planen, wann sie ein Kind wollen, entsteht der Druck, alles perfekt machen zu wollen", sagt der Psychologe. Aus dem Gefühl heraus zu erziehen, gehöre der Vergangenheit an. Das durchgeplante "Projekt Kind" könne gelingen - es könne aber auch zur Verweigerung, etwa in Form von Drogenkonsum oder schlechten Schulnoten, führen. Eine Triebfeder in Richtung Perfektionismus ist auch, dass Ratgeber mit neuesten psychologischen und pädagogischen Untersuchungen meterweise Bücherregale füllen. Ein guter Nährboden für Schuldgefühle. Für Christa M. wurden die Treffen der Krabbelgruppe zum Spießrutenlauf. "Nur entspannte Supermütter mitbestens gekleideten Wonneproppen um mich herum", erinnert sie sich. "Als ich die Flasche auspackte, erntete ich grundsätzlich missbilligende Blicke und Ratschläge, wie es doch noch mit dem Stillen klappen könnte", erzählt sie. Später wirkt sich die Angst, etwas falsch zu machen oder Talente unentdeckt zu lassen, oft so aus, dass Kinder Terminkalender wie Manager haben: Montag Fußball, Dienstag Karate, Donnerstag Kindergeburtstag. Das alles neben der Schule und, was immer häufiger wird, neben Nachhilfe-Stunden. "Wenn Kinder Spaß daran haben, ein Instrument zu erlernen oder Fußball zu spielen, ist dagegen nichts einzuwenden", sagt Wolfgang Drehmann. Was Kinder wirklich fördere und Stärken entdecken lasse, sei, dass Eltern Zeit für sie hätten. Und: Kinder brauchten Zeit zum zweckfreien Spiel. Mit Unbehagen beobachtet Wolfgang Drehmann auch, wie in der Öffentlichkeit über Kinder diskutiert wird: Nachwuchs werde nur als finanzieller und persönlicher Risikofaktor besprochen. "Es wird so gut wie nie erwähnt, dass es Freude bringt, Kinder zu haben." Eltern rät er zur Achtsamkeit, was die "Ergründung" der Persönlichkeit des Kindes angeht, und zu mehr Gelassenheit. Christa M. hat ihren Weg als Mutter heute gefunden. "Ich will für meinen Sohn keine Therapeutin sein, die sich an Büchern orientiert. Ich will Mutter sein, die ihr Kind begleitet, seine Gefühle respektiert, ihm Grenzen setzt, um ihm Orientierung zu geben." Und vor allem: "Ich selbst gestehe mir heute zu, ein Mensch mit Emotionen zu sein."

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