"Das Saufen am Abend war ein Ritual"

Trier · Alkohol, Amphetamine, Beruhigungsmittel: Zwei junge Menschen erzählen von ihrer Sucht und dem Versuch, davon loszukommen.

Trier Im Alter von 14 Jahren hatte Jana Maier zum ersten Mal Kontakt zu Drogen. "In meinem Freundeskreis wurden Amphetamine genommen", erinnert sich die junge Frau aus dem Trierer Land. "Die waren alle älter und haben mich nicht gelassen, da habe ich das einfach heimlich probiert." Bei Florian Weber, dem 34-jährigen Mannheimer, war vor 20 Jahren Cannabis das erste Suchtmittel. "Anfangs habe ich nur am Wochenende gekifft, bald jeden Tag. Mit 17 habe ich dann Amphetamine, Kokain und Ecstasy genommen. Damit ging es mir gut."
Jana Maier und Florian Weber leben heute in einer betreuten Wohngemeinschaft der Suchtberatung Die Tür e.V. in Trier. Im Gespräch mit dem Trierischen Volksfreund erzählen die sehr unterschiedlichen jungen Menschen von ihrer Sucht und der Hoffnung, diese endlich zu überwinden.

DER KICK FÜR DEN ALLTAG Es war vor allem die stark stimulierende und aufputschende Wirkung der synthetischen Verbindung Amphetamin (siehe Info), die Jana Maier zunächst als Segen erlebte. "Ich konnte damit viel besser lernen, war viel kommunikativer und konnte auch meine Familie ertragen", sagt die 29-Jährige rückblickend. "So wie andere Kaffee trinken, habe ich Linien gezogen. Das hatte leider den gewünschten Erfolg."
Abitur mit Notenschnitt 1,8. Und die permanenten Schlafstörungen ließen sich bekämpfen, mit reichlich Alkohol. "Als ich mit 18 ein Auto hatte, habe ich mir abends Wein besorgt und getrunken. Das wurde zum Ritual. Denn Saufen bis zum Limit lässt schlafen."
Mit dem Beginn des Studiums hörte die junge Frau mit dem Amphetamin auf. "Dann habe ich nur noch getrunken." Zwei Jahre später ersetzte der Rum den Wein. "Ich hatte damals einen Freund, der war nur im Suff zu ertragen", erzählt sie und meint das nicht ironisch. Drei Promille Blutalkohol waren Alltag, als Jana Maier im August 2012 zum ersten Mal deutliche Entzugserscheinungen spürte. Die intelligente Frau reagierte. "Ich bin sofort ins Mutterhaus zur Entgiftung, da hatte ich 4,3 Promille im Blut."
Was folgte, war die erste stationäre Therapie und der Versuch, in ein geregeltes Leben zurückzukehren. Es gelang leidlich. Der erste Rückfall 2015 war ein Warnschuss. "Ab Dezember 2016 habe ich wieder regelmäßig und exzessiv getrunken, bis eine akute Bauchspeicheldrüsenentzündung festgestellt wurde." So folgte in der Klinik der zweite Entzug und bis vor vier Monaten eine erneute Therapie in einer Fachklinik in der Eifel. Dort und in der betreuten Wohngruppe der Tür hat sie die Ursachen für ihre Sucht aufgearbeitet. "Ich habe jetzt endlich kapiert, dass ein Studium kein Selbstzweck ist, sondern Voraussetzung dafür, beruflich Fuß zu fassen. Ich will abstinent bleiben und endlich mein Masterstudium abschließen." Noch wichtiger ist für die junge Frau eine andere Erkenntnis, die sie in der Psychotherapie gewonnen hat: "Ich habe meine wirkliche sexuelle Orientierung gefunden und weiß jetzt, warum es nie mit Männern funktioniert hat."
Dem Alkohol werde sie vermutlich nicht mehr verfallen, ist Jana Maier überzeugt. "Ein wenig Sorge habe ich allerdings beim Blick auf die Prüfungen, den Lernstress und das Amphetamin."

EIN LEBEN IN ANGST Für Florian Weber sind Prüfungen auch ein Thema, wenn auch indirekt. "Ich würde gerne eine kaufmännische Ausbildung machen", sagt der 34-Jährige aus Mannheim, der seit knapp zwei Jahren in Trier versucht, ein neues Leben ohne Angst und Sucht zu führen.
Das Gespräch mit dem TV-Redakteur fällt ihm nicht leicht, kommt aber dennoch in Gang, nachdem durch das nun geöffnete Fenster genügend Frischluft geströmt ist. "Ich bin Soziophobiker und etwas nervös", entschuldigt er sich. Die krankhafte Angst vor anderen Menschen sei eine Ursache für seine Suchtprobleme. Zudem sei er als Kind sexuell missbraucht worden. Mehr will er zu diesem Thema nicht erzählen. Doch über seine Suchtgeschichte gibt er ausführlich Auskunft: Mit 14 der erste Joint, ab 17 Amphetamin, Kokain, Ecstasy, ideal für das mentale Abtauchen in exzessiven Technopartys.
Für seine Eltern war das zunehmend problematische Verhalten des jungen Mannes irgendwann zu viel. "Ich bin zu Hause rausgeflogen und habe ein Jahr lang in einem Obdachlosenheim geschlafen, bevor ich über eine Eingliederungsmaßnahme eine Handwerkerlehre gemacht habe." Doch diese zwei Jahre in einer stationären Einrichtung brachten nicht den Ausstieg aus dem Suchtproblem. "Als ich da raus war, habe ich wieder gekifft und Amphetamin genommen, weil es mir damit einfach besser ging." Vor sieben Jahren begann dann das Drama mit Opiaten und Benzodiazepinen, angstlösende und schlaffördernde Medikamente, die vor allem bei der Behandlung psychischer Störungen Anwendung finden. Doch anders als bei einer geordneten Therapie besorgte sich der von seinen Ängsten verfolgte Mann die Pillen selbst. "Ich war mein eigener Arzt und habe immer mehr konsumiert, weil die Dosis nach drei bis vier Wochen nicht mehr die gewünschte Wirkung hatte." Florian Weber schluckte bis zu 40 Tabletten am Tag. Mit den drastischen Folgen tagelanger "Filmrisse" und unkontrollierter Stürze.
Vor drei Jahren veränderte eine Treppe mit 28 Stufen das Leben des Mannes. "Dass ich diesen Sturz überlebt habe, war wirklich Glück." Er war Anlass für einen radikalen Schnitt. "Ich habe einfach nichts mehr genommen." Drei Monate kalter Entzug ohne ärztliche Betreuung, nur mit Unterstützung der Elter - drei Monate Delirium und Wahnzustände. "Das war die schlimmste Zeit in meinem Leben", versichert der 34-Jährige. Es folgte eine erneute Suchttherapie in einer Fachklinik und der Umzug in die betreute Wohngruppe in Trier. In der neuen Stadt will Florian Weber ein Leben ohne Sucht führen. "Ich nehme nur noch Medikamente gegen meine Soziophobie. Aber die muss ich in der Wohngruppe anmelden."
Die Namen wurden von der Redaktion geändert.Extra: MODEDROGE AMPHETAMIN


Amphetamin ist eine synthetische chemische Verbindung, die in der Medizin als Arzneistoff zur Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) und Narkolepsie (Schlafkrankheit) eingesetzt wird. Es hat stark stimulierende und aufputschende Wirkung. In der Szene ist Amphetamin auch unter Bezeichnungen wie Speed oder Pep verbreitet. Es gilt zunehmend als Alltagsdroge und wird häufig in Pulverform durch die Nase inhaliert.

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