Das Wundermittel ist nicht in Sicht

Weltweit wird in vielen Laboratorien fieberhaft nach einem Medikament gegen Demenz geforscht. Für "Vergissmeinnicht" haben wir Professor Tobias Hartmann an der Uni-Klinik Homburg besucht, einen der führenden Demenz-Forscher Europas. Was in unserer saarländischen Nachbarschaft passiert, ist hochspannend. Aber das Zauber-Mittel, so die nüchterne Einschätzung des Alois-Alzheimer-Preisträgers von 2006, wird es auf absehbare Zeit nicht geben.

Homburg. Irgendwie stellt man sich Laboratorien, in denen eines der zentralen Menschheitsprobleme auf höchstem Niveau erforscht wird, anders vor. Spektakulärer. Geheimnisvoller. Besser bewacht. Mit einem Chef am Monster-Schreibtisch, den ein Vorzimmer-Drache von den schnöden Dingen des Alltags abschirmt und der in verquaster Fachterminologie zu kommunizieren pflegt.

Wir treffen einen Mittvierziger mit jugendlicher Ausstrahlung, der in legeren Klamotten in einem Büro von Hasenstall-Größe residiert, während nebenan bei offenen Türen seine 15 Mitarbeiter an Versuchsanordnungen experimentieren. Professor Tobias Hartmann redet so, dass auch ein Laie es verstehen kann. Vielleicht hat er deshalb nicht nur den Auftrag zur Leitung einer Spitzen-Forschergruppe aus 16 europäischen Ländern erhalten, sondern talkt auch in "Dellings Woche" oder dem "Philosophischen Quartett". In Homburg hat er vor zwei Jahren eine Stiftungsprofessur übernommen, die es ihm ermöglicht, sich ganz auf die Forschung zu konzentrieren. Der Neurobiologe untersucht das Verhalten der Alzheimer-Moleküle, entwickelt Zellkultur-Modelle und überprüft seine Ergebnisse in klinischen Studien.

"Am Patienten können wir nicht mehr viel lernen"



Sein Spezialgebiet sind die "amyloiden Eiweißstoffe", die als entscheidende Ursache für die Degenerationen im Gehirn gelten, die Demenz verursachen. Wirklich neue Erkenntnisse erwartet Hartmann nur noch im Labor. Durch Untersuchungen an Kranken, da ist er sicher, lässt sich nicht mehr viel bewegen: "Da hat Alois Alzheimer schon vor 100 Jahren alles Wichtige herausgefunden". Große Fortschritte hat es in den vergangenen Jahren bei der Diagnostik gegeben. Der Professor dokumentiert Studien, nach denen durch eine Untersuchung der Hirnflüssigkeit das Risiko des Ausbruchs einer Demenz-Erkrankung in den nächsten fünf Jahren mit 95-prozentiger Sicherheit vorausgesagt werden kann. Voraussetzung: eine unangenehme, aber harmlose Rückenmarks-Punktierung.

Das ließe sich flächendeckend bei potenziell Gefährdeten einsetzen. Aber Hartmann ist skeptisch: "Was will man dem Menschen denn dann sagen, wenn die Diagnose auf dem Tisch liegt?" Dahinter steckt die unausgesprochene Frage, wie human es ist, bei einer derzeit unheilbaren Krankheit um jeden Preis auf eine sichere Diagnose abzuzielen - zu einem Zeitpunkt, da der Patient noch kaum Beschwerden hat. Dass sich Top-Forscher über die sozialen und gesellschaftlichen Folgen ihrer Arbeit so viele Gedanken machen, vermittelt ein beruhigendes Gefühl.

Andererseits betont gerade Hartmann die Chancen, die Krankheit zu beeinflussen, so lange sie eben noch nicht in voller Ausprägung besteht. Eine zentrale Rolle kommt dabei cholesterinhemmenden "Statinen" und blutdrucksenkenden Mitteln zu. Sie wirken bremsend auf die Bildung des gefährlichen Eiweiß-Amyloids.

Mehr als Bremsen ist freilich nach dem derzeitigen Stand der Forschung nicht drin. Das Allheilmittel gegen Demenz ist weit entfernt, glaubt Tobias Hartmann. Dem hoch gehandelten russischen Medikament "Demibon", das in Deutschland noch nicht zugelassen ist, attestiert er zwar "tolle Ergebnisse", die er aber eher darauf zurückführt, dass die Wirkungen in Vergleich zu gänzlich unbehandelten Patienten gemessen worden sind. Das wäre nach der westlichen Forschungs-Philosophie nicht machbar, würde man doch hier jedem Patienten die aktuell optimale Behandlung zukommen lassen und könnte die Wirkung neuer Mittel nur anhand des "Zusatz-Effekts" messen - was zu wesentlich bescheideneren Ergebnissen führt.

Hartmann rechnet für die nächsten Jahre eher mit der besseren, effektiveren Kombination bekannter Medikamente als mit bahnbrechenden Innovationen. Fortschritte erhofft er sich von der engeren Kooperation zwischen den Neurologen und den Psychiatern, wie sie in Homburg praktiziert wird. Die beiden Wissenschaftszweige kommen aus unterschiedlichen Richtungen und arbeiten nach Hartmanns Einschätzung "oft aneinander vorbei". Aber bei allen Bemühungen: Dass die Medizin der Gesellschaft das Problem Demenz in nächster Zeit abnimmt, glaubt der 45-Jährige nicht. Seine Überzeugung: "Man wird noch lange damit leben müssen".

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