Das schiefe Bild von Pisa

BERLIN. Die Kultusminister sehen in der jüngsten Pisa- Schulstudie eine Bestätigung ihrer Reformpolitik. Alle Bundesländer hätten in Sachen Schulleistung gegenüber dem ersten Test vor drei Jahren zugelegt.

Bayern. Klar, der Freistaat ist mal wieder Klassenprimus. Sogar bis in die Weltspitze haben es die bajuwarischen Schüler inzwischen geschafft. Werte wie Leistungsbereitschaft, Disziplin oder Ordnung zählten im Süden halt noch etwas, hieß es gestern stolz von bayerischer Seite, als in Berlin die Kultusminister der Länder die Ergebnisse des innerdeutschen Vergleichstests Pisa-E präsentierten. Nicht jeder ist allerdings von diesem tugendhaften Bildungsmodell so begeistert wie die Verteter aus dem CSU-Land. Denn seit dem ersten Pisa-Test ist bekannt, dass am stärksten im Freistaat die soziale Herkunft über die Bildungs-Chancen von Kindern entscheidet. Der eigentliche Gewinner der neuen Pisa-Studie ist außerdem ein ganz anderer – man höre und staune: Sachsen-Anhalt. Ausgerechnet das Land, in dem die Jugendarbeitslosigkeit bei fast 19 Prozent liegt, hat in den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften, Lese- und Problemlösungskompetenz die größten Leistungssteigerungen erzielt. Das fand gestern parteiübergreifend Anerkennung. Getestet wurden 2003 für Pisa-E insgesamt 45 000 15-jährige Schüler aus knapp 1500, zufällig ausgewählten Schulen. Zur Erinnerung: Als im Jahre 2001 die Ergebnisse des internationalen Pisa-Tests der OECD veröffentlicht wurden, schnitten die deutschen Pennäler so miserabel ab, dass fortan nur noch vom "Pisa-Schock" die Rede war. Bildungsfrust zog sich durch die Republik. Positive Bewegung im Bildungsbereich

Welch ein Wandel: Gestern blickte man im Berliner Roten Rathaus nur in (vermeintlich) zufriedene Gesichter der Kultus-, Bildungs- und Wissenschaftsminister. "Im Bildungsbereich ist etwas positiv in Bewegung geraten", kommentierte die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz (KMK), Brandenburgs Wissenschaftsministerin Johanna Wanka (CDU). Und der rheinland-pfälzische Wissenschaftsminister Jürgen Zöllner (SPD) meinte, nach dem Pisa-Schock einen "Mentalitätswechsel in Schulen und Elternhäusern" erkannt zu haben. So weit die Lobpreisungen. Eigentlich sollte der mit Spannung erwartete innerdeutsche Vergleich erst im Herbst vorgestellt werden. Angesichts der erwarteten Bundestagswahl mussten die Forscher aber schon jetzt erste Ergebnisse vorlegen, wobei die genaue Analyse und die Antwort auf die Frage, warum eigentlich die Länder so oder so abgeschnitten haben, erst im November folgen sollen. Bis dahin dürfen die Wahlkämpfer ihre Pisa-Interpretationen unters Volk streuen. In der Tat sind die Ergebnisse auf den ersten Blick ermutigend: Zwar stellen die Schüler aus Bayern ihre Altersgenossen aus den anderen Bundesländern in allen Bereichen in den Schatten, in Mathe beispielsweise dringen sie sogar bis in die Weltspitze der ersten fünf Pisa-Siegerstaaten wie Finnland oder Südkorea vor. Aber: Es gibt kein Bundesland, dass nicht gegenüber der ersten Testwelle drei Jahre zuvor Defizite abgebaut hat, auch nicht Bremen, in der Bildungs-"Bundesligatabelle" erneut auf dem letzten Platz. Sachsen beispielsweise eroberte sowohl in Mathematik, Naturwissenschaften und Problemlösen den zweiten Rang und verwies damit Baden-Württemberg fast überall auf Platz drei. Nur in Lesen und Textverständnis behauptete Baden-Württemberg seinen bisherigen zweiten Platz. Thüringen folgt überall auf Platz vier. Schleswig-Holstein bleibt im oberen Mittelfeld, das Saarland, Rheinland-Pfalz und Hessen im Mittelfeld. Dahinter liegt Niedersachsen. Nordrhein-Westfalen fällt zurück, Brandenburg steigt teilweise auf, belegt aber wie Berlin hintere Plätze. Die besten Ergebnisse zeigten deutsche Schüler übrigens, wenn es um die Problemlösungskompetenz geht. Fast alle Bundesländer lagen dabei im oder deutlich über dem OECD-Durchschnitt. Die Kultusminister fühlen sich nun bestätigt, nach dem damaligen Pisa-Schock die richtigen Maßnahmen ergriffen zu haben – wie nationale Bildungsstandards oder das Ganztagschulenprogramm, das allerdings der Bund aufgelegt hat. Die Frage, wie sich die einzelnen Länder so schnell verbessern konnten, obwohl Reformen im Bildungsbereich nun mal von langfristiger Natur sind, blieb gestern jedoch weitgehend unbeantwortet. Ebenso unklar ist auch, warum ausgerechnet in Deutschland Kinder aus sozial schwächeren Familien im Rennen um die hochwertigsten Bildungsabschlüsse sehr schlechte Chancen haben. Antworten darauf soll es erst nach der Bundestagswahl geben. Bis dahin ist Wahlkampf. Und zwar auch mit Pisa.

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