"Der Ärzte-Protest ist unangebracht"

Zahlreiche Ärzte protestieren in diesen Tagen erneut mit Praxisschließungen gegen die Gesundheitspolitik der Großen Koalition. Zugleich warnt die Kaufmännische Krankenkasse (KKH) vor weiteren Beitragserhöhungen für die Versicherten.

Berlin. (vet) Über die aktuelle Lage im Gesundheitswesen sprach unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter mit der Sozialexpertin und stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD, Elke Ferner: Frau Ferner, können Sie den Ärzteprotest gegen den Sparkurs im Gesundheitswesen nachvollziehen?Ferner: Dort, wo vernünftigerweise eingespart wird, nämlich bei den Arzneimitteln, sind die Ärzte überhaupt nicht betroffen. Bei den Medikamenten geht es zum Beispiel darum, teuere Produkte durch preiswerte Substanzen mit den gleichen Wirkstoffen zu ersetzen. Die Ärzte müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie einen Versorgungsauftrag für die Patienten haben. Außerdem sind die Verhandlungen über das neue ärztliche Honorarsystem in Euro und Cent auf gutem Weg. Vor diesem Hintergrund halte ich die Ärzteproteste nicht für angebracht. Der Verein "Freie Ärzteschaft" befürchtet, dass die medizinische Versorgung aus Kostengründen von den Praxen komplett in die Kliniken verlagert werden könnte.Ferner: Diese Sorge ist unbegründet. Mit der Gesundheitsreform haben wir die Krankenhäuser nur in bestimmten Fällen für die ambulante Versorgung geöffnet. Das gilt bei hoch spezialisierten Leistungen und seltenen Erkrankungen. Dazu müssen die jeweiligen Bundesländer eine ausdrückliche Genehmigung erteilen. Nach den bisherigen Erfahrungen machen die meisten Länder aber nur wenig von dieser Möglichkeit Gebrauch. Fast jeder fünfte niedergelassene Mediziner ist kurz vor dem Ruhestand. Droht uns ein Ärztemangel?Ferner: Die Ärztedichte ist sehr unterschiedlich. Während in manchen Regionen Ostdeutschlands und in dünn besiedelten Gebieten Westdeutschlands schon länger ein Mangel an Ärzten herrscht, verzeichnen Ballungsgebiete eher eine Überversorgung besonders im fachärztlichen Bereich. Hier müssen die Kassenärztlichen Vereinigungen für Abhilfe sorgen. Bei der Verteilung der Honorare sollten sie auf stärkere Anreize für jüngere Mediziner setzen, vor allem dann, wenn sie sich als Hausärzte niederlassen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind nach wie vor von Fachärzten dominiert, so dass sich die Hausärzte zwangsläufig zurückgesetzt fühlen. Bereits zum Jahresanfang haben mehr als 60 Krankenkassen ihre Beiträge angehoben. Die KKH erwartet einen weiteren Schub auf breiter Front. Wie lautet Ihr Befund?Ferner: Verlässliche Prognosen sind schwierig, weil die Situation bei den einzelnen Kassenarten unterschiedlich ist. Ich erinnere aber daran, dass Beitragserhöhungen vom Bundesversicherungsamt beziehungsweise von den Landesaufsichtsbehörden genehmigt werden müssen. Sie entscheiden, ob eine Beitragsanhebung gerechtfertigt ist oder nicht. Hinzu kommt, dass Versicherte bei Beitragserhöhungen ein Sonderkündigungsrecht haben. Die KKH argumentiert mit Kostensteigerungen und der sich abzeichnenden Konjunkturschwäche.Ferner: Nach allen Vorhersagen soll die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in diesem Jahr weiter zulegen. Insofern ist bei den Kassen eine Verbesserung der Einnahmen zu erwarten. Die Ausgaben sind auch von den Einsparmöglichkeiten abhängig, die den Kassen durch die Gesundheitsreform zur Verfügung stehen. Insofern ist auch das Management der KKH gefordert, kreativ und verantwortungsbewusst zu handeln. zur person Elke Ferner (49, Foto: privat) ist stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Die gebürtige Idar-Obersteinerin und gelernte Programmiererin gehört seit 1990 dem Deutschen Bundestag an. Von 1998 bis 2000 war sie Staatssekretärin im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen. Von 1997 bis 2007 gehörte sie dem Landesvorstand der Saar-SPD an, zuletzt als stellvertretende Vorsitzende. (red)

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