Der Geist von Heiligendamm

Milliardenhilfen für Afrika, der Wille zu mehr Klimaschutz und massive Proteste von Globalisierungskritikern — das ist die Bilanz des G8-Gipfels, der am Freitag in Heiligendamm zu Ende ging.

Heiligendamm. Man kennt das vom Betriebsausflug, wenn plötzlich die Steifheit weicht. Auch beim G8-Treffen gibt es bald diese Atmosphäre. Nicolas Sarkozy leiht sich von Wladimir Putin das Handy, weil er seins hat liegen lassen. Am Donnerstag sitzt George W. Bush zusammen mit den anderen in der Abendsonne auf der Terrasse, im Pullover. Er lässt sich eine Flasche alkoholfreies Bier geben, Tony Blair schließt sich an. Angela Merkel beschwört dies immer wieder, wenn sie nach dem Sinn der Mammutveranstaltung gefragt wird: "Es herrscht hier eine sehr kooperative Atmosphäre." Am deutlichsten wird das bei dem versöhnlichen Gespräch zwischen Bush und Putin zum Raketenstreit (siehe weiteren Bericht unten). Es ist eben etwas anderes, ob man sich hochoffiziell zu Verhandlungen trifft oder quasi nebenbei im Hotel. Es ist ein bisschen wie im Urlaub, die Frauen sind ja auch da. Einige Staatschefs joggen morgens. Nur die Strandkörbe bleiben weit gehend unberührt. Das Wasser ist zu kalt. Überall wuselt die Kanzlerin herum. Sehr konzentriert, aber locker. Ein Pressegespräch beendet sie mit den Worten: "Ich bin ja hier die Chefin. Ich muss jetzt wieder leiten." Sie schafft viele unkomplizierte, fast private Situationen. Sie will eine Gruppendynamik erzeugen. "Niemand soll in eine Ecke gestellt werden", sagt sie. Im Kurhaus, in dem die Beratungen stattfinden, hat sie Bush links neben sich gesetzt, Putin rechts. Auf die beiden kommt es an, jedenfalls bei den zentralen Themen. Seltsam zurückgenommen wirkt in all den Tagen nur Tony Blair. Es ist sein letzter Gipfel. Aber am Mittwochabend bearbeitet er Bush in der Klimafrage. Die Europäer agieren koordiniert. Am Freitagmorgen bittet Merkel die Staatspräsidenten Indiens und Chinas nach der Begrüßung an einen kleinen Holztisch auf der Veranda und lässt Wasser servieren, als sei das hier eine Jausenstation. Nur die Asiaten bleiben verkniffen

Hu Shintao und Manmohan Singh aber bleiben verkniffen. An diesem Tag beim Treffen mit den Vertretern der Schwellenländer, die nur für ein paar Stunden anreisen, funktioniert die Gruppendynamik einfach noch nicht so schnell. Hu Shintao lässt seine Rede an die Journalisten verteilen, was sonst keiner tat, weil keiner nur vorbereitete Statements von sich geben wollte. Darin steht, dass die Industriestaaten ihre Politik an den Realitäten orientieren sollten. Dazu gehöre, dass China wachse und mehr Energie brauche. Das sind andere Töne. Der Zaun von Heiligendamm trennt die Welt der G8 messerscharf von einer Welt da draußen, in der die Atmosphäre eine ganz andere ist. Über der permanent Hubschrauber dröhnen, in der Demonstranten die G8 zur Hölle wünschen, in der Journalisten um Plätze in den wenigen Booten kämpfen, die nach der Blockade der Bahnverbindung noch nach Heiligendamm fahren. In der hektisch Schlagzeilen produziert werden und Pressesprecher der Nichtregierungsorganisationen permanent Mitteilungen verteilen, die die Ergebnisse alle für unzureichend erklären. Viele Medienvertreter geben zu, dass sie selbst es sind, die das G8-Treffen erst zum Rummel machen, und die auch die Massen von Demonstranten anziehen. In Rostock kommen 80 000 zum Konzert für Afrika. U2-Sänger Bono schimpft. Weil die Deutschen ihm erzählt haben, dass die Verhandlungen über Afrika stocken, ist er stinksauer. Aber Bono hat die Rechnung ohne - ausgerechnet - George W. Bush gemacht. Es sind die USA, das Feindbild Nummer eins aller Demonstranten, die am Freitag mehr Geld für Afrika, vor allem für die Aids-Bekämpfung, verlangen und durchsetzen. Manche Feindbilder stimmen eben nicht, nicht die, die man drinnen übereinander haben mag, und nicht die, die man draußen über die da drinnen hat. Eine Berliner Schülerin hat in Rostock demonstriert. Ihr Vater ist einer der höchsten Sicherheitsbeamten in Deutschland. Als er sie vor einer Woche zum Bahnhof brachte, trug er sogar die Transparente. Eine andere Schülerin, die 16-jährige Kavitha Narra aus den USA, durfte am Donnerstag als eine von acht Jugendlichen direkt mit den Staatschefs reden. Sie berichtet hinterher erstaunt, George W. Bush habe ihr ins Notizbuch geschrieben, dass er stolz auf sie sei, wenn sie weiterhin so aktiv in der Klimapolitik bleibe. Die Welt ist offenbar nicht nur schwarz-weiß, nicht nur gut und böse, sondern ziemlich kompliziert.

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