Der Kummerkasten der Bundeswehr

BERLIN. Unzumutbar, erschreckend, skandalös: In seinem Jahresbericht über die Sorgen und Nöte der Bundeswehr spart der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe, nicht mit harschen Formulierungen.

Vielleicht ließ sich der SPD-Politiker von einem ungeschriebenen Gesetz der Mediendemokratie leiten: Nur wer Klartext redet, findet auch öffentliche Aufmerksamkeit. Seinem Bericht ist das zweifellos zu wünschen. Nicht, dass es darin lauter Neuigkeiten gebe. Eine mangelnde Ausstattung der Soldaten, die permanente Überforderung der Truppe in Auslandseinsätzen sowie akute Defizite bei der inneren Führung hatten schon Robbes Amtsvorgänger aufgelistet. Genau darin steckt die Brisanz der jüngsten Bestandsaufnahme. "Warum beklagen wir Jahr für Jahr dieselben Defizite und Mängel, und warum hat sich bis heute nichts geändert?", fragte Robbe gestern und lieferte die Antwort, die ihm viele Soldaten gaben, gleich mit: "Sie bezweifeln", dass die Mängelberichte überhaupt bis ins Bundesverteidigungsministerium "durchdringen". Ein geradezu vernichtendes Urteil der Betroffenen. Für Probleme sorgen auch die wachsenden internationalen Verpflichtungen der Truppe. Von rund 2400 Ärzten im Sanitätsdienst waren im Vorjahr 700 durch Auslandseinsätze der Bundeswehr gebunden. In den Bundeswehrkrankenhäusern daheim fehlen Chirurgen und Anästhesisten. Bei der Mission zur Sicherung der Wahlen im Kongo waren in dem von einer Privatfirma errichteten Feldlager die Zelte undicht. Bei starkem Regen schwammen die Fäkalien durch die Unterkünfte. Robbe forderte eine umfassende Fehleranalyse des Kongo-Einsatzes. Häufig Alkohol im Spiel

Spätestens mit der juristischen Aufarbeitung von körperlichen Misshandlungen am Bundeswehrstandort Coesfeld ist auch das Prinzip der inneren Führung wieder ins Blickfeld geraten. Nach Robbes Erkenntnissen ließ die Vorbildfunktion der Vorgesetzten auch in zahlreichen anderen Fällen zu wünschen übrig. Die Vorwürfe reichten von "unangemessenem Umgangston über den Missbrauch der Befehlsbefugnis bis zu tätlichen Übergriffen. Häufig ist Alkohol im Spiel. Und: "Mich erschreckt, mit welcher Selbstverständlichkeit sogar Vorgesetzte über die Stränge schlagen." Zugleich räumte er ein, dass viele Vorkommnisse wahrscheinlich gar nicht gemeldet würden, weil die Soldaten dann erst recht Unannehmlichkeiten durch ihre Vorgesetzten befürchteten. Von den Rekrutenmisshandlungen in Coesfeld waren immerhin 120 Soldaten betroffen. Aber keiner hatte sich an den Wehrbeauftragten gewandt. Der Fall kam eher durch Zufall ans Licht.

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