"Der Mensch Schmidt ist oft unterschätzt worden"

Wenn Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt heute 90 wird, fühlen sich viele berufen, in ihren Erinnerungen zu kramen. Doch nur wenige waren dem markanten Hanseaten so lange so nahe wie der Trierer Karl Haehser, der 1974 vom damaligen Finanzminister Schmidt zu seinem Staatssekretär berufen wurde und der Schmidts Kanzlerzeit am Kabinettstisch miterlebt hat.

 Zu Besuch in Trier: Anlässlich der Verleihung des Nell-Breuning-Preises 2005 widmete Helmut Schmidt seinem früheren Staatssekretär eine lange private Begegnung. Foto: Archiv Karl Haehser

Zu Besuch in Trier: Anlässlich der Verleihung des Nell-Breuning-Preises 2005 widmete Helmut Schmidt seinem früheren Staatssekretär eine lange private Begegnung. Foto: Archiv Karl Haehser

Trier. Dass er ihn zuletzt getroffen hat, ist gerade mal ein paar Tage her. Vorige Woche war Karl Haehser, 80, bei der Jahreshauptversammlung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Müntefering war da, und IG-Metall-Chef Huber. Aber der Star der Veranstaltung sei eindeutig Helmut Schmidt gewesen, erzählt der ehemalige Finanz-Staatssekretär. Er solle sich "mal nur nicht einbilden, mit 80 ein alter Mann zu sein", habe Schmidt zu ihm, dem langjährigen Weggefährten gesagt, "nimm dir lieber ein Beispiel an mir".

Den aufstrebenden jungen Helmut Schmidt erlebte Haehser zum ersten Mal Mitte der 50er Jahre - eher zufällig, denn da war der Mann mit dem markanten Mundwerk noch Verkehrsamtsleiter in Hamburg. An einen "Vollprofi mit kurzen, klaren Ansagen und hoher Kompetenz" erinnert sich Karl Haehser, der damals auf dem Sprung in den rheinland-pfälzischen Landtag war.

Als sich beide bei ihrem Einzug in den Bundestag 1965 in der SPD-Fraktion wiedertrafen, war Schmidt schon "überall bekannt wie ein bunter Hund". Das Krisenmanagement als Innensenator bei der Hamburger Flutkatastrophe hatte seine Karriere mächtig beschleunigt, schon zwei Jahre später war "Schmidt-Schnauze" Chef der Bundestagsfraktion - beim Aussprechen dieses Spitznamens senkt Haehser heute noch die Stimme.

Der Trierer MdB erlebte einen eisernen Fraktionsvorsitzenden, dessen preußische Tugenden keineswegs von den Medien übertrieben wurden. "Bitte morgen früh um acht Uhr im Finanzministerium sein, aber pünktlich, du wirst nämlich Staatssekretär" - so knapp teilte Schmidt dem konsternierten Abgeordneten telefonisch seine Beförderung ins Regierungsamt mit.

Schmidt sei weder ein Pfleger persönlicher Seilschaften noch ein klassischer Partei-Mann gewesen, sagt Haehser: "Freundschaft ja, aber immer auf Distanz". Bei der Besetzung von Funktionen habe es keine Gefälligkeiten gegeben, gezählt habe nur die persönliche Qualifikation. Küchenkabinette Marke Kohl mit gefälligen Hofschranzen waren Schmidt ein Gräuel. Keiner, meint Haehser, sei "was geworden, nur weil er gut mit Schmidt konnte oder die Partei es wollte".

Zu seiner Partei hatte der personifizierte Macher stets ein ambivalentes Verhältnis. Manchmal, wenn Schmidt mal wieder über die SPD schimpfte, musste Karl Haehser ihn halb ernst, halb scherzhaft daran erinnern, "dass du doch der stellvertretende Vorsitzende von dem Laden bist". Der traditionelle SPD-Ortsverein war nie sein Milieu, so wie es laut Haehser "eigentlich gar kein Milieu gab, was seines war". Dennoch habe Schmidt die Partei "immer sehr ernst genommen". Aber 1974 als Kanzler, wie später oft gefordert, auch den Parteivorsitz zu übernehmen, "das wollte er nicht, und es wäre auch einfach nicht seine Sache gewesen".

Der Krisen-Herbst 1977 ist im Gedächtnis des Trierer Abgeordneten noch sehr präsent, vor allem die Sitzung, in der Schmidt das Kabinett über den Verlauf der Mogadischu-Aktion unterrichtete: "Man hat ihm in dieser Zeit angemerkt, wie unglaublich schwer ihm die notwendigen Entscheidungen gefallen sind". Schmidt habe "viele konsultiert, aber letztlich alleine entscheiden müssen".

Der "Mensch Schmidt", diese Feststellung ist Karl Haehser wichtig, sei "oft unterschätzt worden". Die kühle Art und das bisweilen als arrogant empfundene Auftreten seien "äußerliche Eigenart, aber nicht das Wesen". Haehser hat auch einen anderen Schmidt kennen gelernt, unter anderem als Gast in seinem Mariahofer Haus. Geraucht hat er auch da übrigens immer heftig, am Alkohol aber "allenfalls mal genippt". Ob Helmut Schmidt über sich selbst lachen kann? "Falls ja, dann haben wir es in der Umgebung jedenfalls nicht gemerkt", lautet Haehsers vielsagende Antwort.

Bleibt die Suche nach einer Erklärung für die anhaltende Popularität des Altkanzlers. Da müsse man sich nur mal Schmidts öffentliche Auftritte ansehen, analysiert Karl Haehser: "Diese Klarheit der Aussage, diese Genauigkeit der Argumentation wirkt bis heute". Und wenn man etwas nachbohrt, fällt dem Polit-Veteranen noch ein anderer Grund ein: "Hängen Sie es nicht an die große Glocke, aber vielleicht haben wir heute einfach keine Politiker mehr mit dieser Statur und diesem Charisma".

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort