"Der Pitbull ist von der Leine"

Barack Obama zieht mit dem erfahrenen Senator Joe Biden in die heiße Phase des US-Wahlkampfs: Der designierte Präsidentschaftskandidat der Demokraten entschied sich am Samstag für den 65 Jahre alten Biden als seinen "Vize".

Denver/Springfield. Aus den Lautsprechern vor dem Kapitolsgebäude in Springfield (US-Bundesstaat Illinois) dröhnt Bruce Springsteens "Rising", und die seit Stunden dichtgedrängt stehenden Menschen erleben den Aufstieg eines Mannes, der zweimal bei seinen Präsidentschaftsambitionen scheiterte und nun als potenzieller Vize von Barack Obama erneut das Weiße Haus ins Visier nehmen darf. Man sieht Joe Biden, dem 65jährigen Senats-Veteranen und gestandenen Außenpolitker aus Delaware, sein Alter nicht an, als er auf Obama für die obligatorische Umarmung zueilt. "Yes we can" ruft auch Biden, als die Menge den Schlachtruf ihres Spitzenkandidaten skandiert. Doch schnell zeigt sich, dass im öffentlichen Auftritt zwischen den beiden Welten liegen.

Der oft philosophisch-sanft wirkende und geschliffen formulierende Obama auf der einen Seite. Und auf der anderen ein als schlagfertig geltender Mann, der aus seinem Herzen keine Mördergrube macht und keinem verbalen Zweikampf aus dem Weg geht. Sofort nimmt er George W. Bush und John McCain ins Visier: "Noch nie war es um die Politik in Washington so schlecht bestellt," ruft er, "aber es gibt gute Neuigkeiten: Wir müssen keine weiteren vier Jahre Bush und McCain mehr ertragen."

"Der Pitbull ist von der Leine", kommentierte ein CNN-Analytiker nach dem ersten Auftritt des ungleichen Duos. In der Nacht zuvor hatten US-Medien das Rätselraten beendet und sich dabei gleichzeitig als Spielverderber betätigt. Denn eigentlich sollten Millionen Obama-Fans durch SMS und E-mails als erste erfahren, wer das Rennen gemacht hat. Doch einige Journalisten kamen dank undichter Stellen in der Zentrale des Bewerbers früher an die Information. Hinweise auf die Favoritenrolle von Biden hatte es schon zuvor gegeben. So bedankte sich Obama bei dem gerade aus der Krisenregion in Georgien zurückgekehrten Senatskollegen ausdrücklich und öffentlich für dessen Einsatz und den Vorschlag eines Milliarden-Hilfsprogramms.

Zweifel an der Funktion von Biden im Wahlkampf gibt es angesichts des Lebenslaufs des Katholiken nicht: Seit mehr als drei Jahrzehnten sitzt er im Auswärtigen Ausschuss des Senats, den er derzeit auch leitet, und hat sich intensiv mit den Krisenherden der Welt beschäftigt - eine Qualifikation, die bei Barack Obama nicht vorhanden ist. Dies zeigte sich immer deutlicher bei Umfragen, in denen Wähler die Fähigkeit des jungen Demokraten in Frage stellten, außen- und sicherheitspolitisch die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Doch nun soll das Duo Obama/Biden nicht nur diese Zweifel zerstreuen, sondern auch mit frischem Rückenwind in den heute in Denver beginnenden Nominierungsparteitag gehen. Gleichzeitig zielt die Nominierung Bidens auf die Wähler in wichtigen Bundesstaaten wie Florida oder Philadelphia. Der Vize-Kandidat gilt als Unterstützer der Politik Israels, was jüdische Wähler in den USA ansprechen wird. Doch auch die weiße Arbeiterschicht dürfte an ihm Gefallen finden: Er stammt aus einer typischen Mittelklasse-Familie in Pennsylvania. Ob ihm sein ursprüngliches "Ja" zum Irak-Krieg schadet, ist eher unwahrscheinlich. Denn für Biden spricht bei diesem Thema, dass er zuletzt für einen noch schnelleren Abzug plädierte als ihn sich selbst Obama vorstellt.

Die "Washington Post" jedenfalls glaubt, dass Obama auf Nummer sicher ging: "Die Ernennung Bidens ist eine realistische, aber nicht idealistische Wahl", so das Blatt gestern.

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