Der Vertrag atmet nicht den großen Aufbruch

Nach drei anstrengenden Verhandlungswochen und einer letzten, nächtlichen Marathonsitzung haben Union und FDP endlich die Gespräche abgeschlossen. Die Teilnehmer sind müde, erleichtert und glücklich.

Berlin. Angela Merkel bemerkt die Ironie dann doch. "Viel Vergnügen!" ruft ihr ein Journalist zu, als die Kanzlerin den Saal der Bundespressekonferenz verlässt, in dem sie mit CSU-Chef Horst Seehofer und FDP-Chef Guido Westerwelle eineinhalb Stunden lang den neuen schwarz-gelben Koalitionsvertrag vorgestellt hat. Der Journalist meint es sarkastisch. Merkel bleibt kurz auf dem Treppenabsatz stehen, sie stutzt, und dann fällt der Groschen: "Ja, Ihnen auch viel Vergnügen", winkt sie beim Weitergehen ab. In nächster Zeit werden beide Seiten bestimmt ihren Spaß haben, das steht fest.

Die Medien werden mit Lust und Laune verfolgen, wie sich Union und FDP abmühen, ihre vielen, kostspieligen Versprechungen umzusetzen.

Steuersenkungen sollen die Wirtschaft ankurbeln



Allein 24 Milliarden Euro Steuerentlastungen pro Jahr wollen gegenfinanziert werden. Man sei sehr "mutig", konzediert Merkel in frischer Offenheit und meint damit die allerdings gewagte Annahme der Koalition, die Steuersenkungen würden die Wirtschaft so ankurbeln, dass sich die Haushaltslöcher quasi von allein wieder füllen.

Dass neben der Journaille aber auch die schwarz-gelben Partner erst einmal mit Vergnügen an die Sache gehen, anders als noch vor vier Jahren Union und SPD, ist am Samstag bei der gemeinsamen Pressekonferenz der Parteichefs deutlich zu beobachten.

Sicher, Erleichterung ist mit im Spiel, dass sie nach drei anstrengenden Verhandlungswochen und einer letzten, nächtlichen Marathonsitzung endlich die Gespräche abgeschlossen haben. Der öffentliche Eindruck, den die Verhandlungen hinterließen, war ja zum Teil chaotisch: Vieles wurde einfach hinausposaunt - und entpuppte sich am Ende als heiße Luft. Oft nur, um die Unterhändler auf der anderen Seite des Tisches unter Druck zu setzen.

Aber die Parteivorsitzenden da oben auf dem Podium wirken nicht so wie diejenigen, die dort früher als Großkoalitionäre saßen und sich belauerten. Jetzt ist die Wunsch-Koalition Wirklichkeit geworden: "Um 2.12 Uhr waren wir mit der Arbeit fertig, seit 2.15 Uhr sagen wir Horst und Guido zueinander. Das ist der Beginn einer großen Freundschaft", grient Westerwelle. "Erst die Arbeit, dann das Spiel", schiebt Seehofer frotzelnd nach. Nun duzen sich alle. In der Großen Koalition war das "Sie" Pflicht. Nachts haben Union und FDP darauf noch ein Gläschen getrunken.

Wochenlang wurde nach einer Überschrift, einer Idee für den Koalitionsvertrag gesucht. "Wachstum. Bildung. Zusammenhalt.", steht nun vorne auf dem 124 Seiten dicken Papier.

Merkel will ohne Kanten bleiben



Das atmet nicht gerade den Geist des Aufbruchs oder eines gemeinsamen Projekts. Die Präambel zum Koalitionsvertrag beginnt mit den Worten: "Wir stellen den Mut zur Zukunft der Verzagtheit entgegen." Sei sie also in den letzten vier Jahren eine Bundeskanzlerin der Verzagtheit gewesen?, will jemand von Merkel wissen. Natürlich nicht. Der Satz stehe für "einen kontinuierlichen Weg und trotzdem einen Neuanfang", antwortet die Kanzlerin. Für Merkel und ihr Selbstbild als Regierungschefin heißt Schwarz-Gelb vor allem "weiter so". Sie will in den nächsten vier Jahren die pragmatische Frau des Ausgleichs ohne Kanten bleiben. Genau deshalb sucht man ihre Handschrift im Koalitionsvertrag vergebens.

Bei Guido Westerwelle, dem künftigen Außenminister, ist das ganz anders. Er redet so oft von Neuanfang und liberalen Erfolgen in den Verhandlungen, dass man ihm das fast schon glauben will. "Ich möchte, so wie alle anderen auch, unserem Land dienen", wird er mal pathetisch; wer meine, Schwarz-Gelb sei eine soziale Gefahr, werde "mit diesem Koalitionsvertrag eines Besseren belehrt", wird er mal beherzt. Selbst Spitzen gegen die neue Opposition kann er sich nicht verkneifen: "Da waren wir besser", witzelt er. Ob die FDP auch besser in der Regierung ist, müssen Westerwelle und seine Truppe jetzt beweisen. Jedenfalls hat er von den Dreien da oben den meisten Elan.

Nichts Neues aus Bayern



Bleibt noch Horst Seehofer. "Die CSU freut sich", ist einer seiner Kernsätze. Kein Wunder, drei Ministerien hat der seit der Bundestagswahl schwer angeschlagene Christsoziale für seine Partei herausgeholt. Endlich wieder ein Erfolg.

Der Vertrag sei ein "Kursbuch", betont Seehofer, was wenig nach großem Aufbruch klingt. Wie immer werde man "im Rahmen unserer Möglichkeiten" die Regierung stärken, verspricht der Bayer leicht diabolisch. Da grinst auch Merkel. Nichts Neues von der CSU.

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