Der amerikanische Weltbürger

Barack Obama, der gestern offiziell zum Präsidentschaftskandidaten der US-Demokraten nominiert worden ist, verkörpert geradezu idealtypisch den amerikanischen Traum. Doch während der Sohn eines Kenianers und einer Weißen aus Kansas Hoffnungsträger für die einen ist, bleibt er anderen unerfahren und "fremd".

Washington. Kurz vor dem Ziel sieht Barack Obama die Dolche unter den Gewändern seiner Gegner blitzen. Video-Mitschnitte seines Pastors Jeremiah Wright drohen dem Traum von der ersten Kandidatur eines Afro-Amerikaners für das Weiße Haus ein jähes Ende zu bereiten. Innerhalb von 24 Stunden taucht der Mann, der Obama zum Glauben führte, ihn mit Michelle verheiratete und seine beiden Mädchen Malia und Sasha taufte, überall auf der Mattscheibe auf. Zornig. Brüllend. Radikal. Die Urängste des weißen Amerika berührend. Mal in einer Predigt vom Sonntag nach dem 11. September, in der Wright findet, "wir haben geerntet, was wir gesät haben". Dann in einer Sequenz, in der er die USA eine "auf Rassismus gegründete Nation" nennt und von den "Vereinigten Staaten von Ku-Klux-Klan-Amerika" spricht. Über Nacht geht es für Obama ums politische Überleben. Das Pastoren-Problem stellt den Kern seines Appeals als post-ethnischer Reformer mit wenig Geschmack für Ideologie infrage. Ein Image, das auf seiner packenden Biografie "Dreams from my Father" gründet und Millionen Leser fasziniert hat. Darin stellt sich Obama als Weltbürger vor - Sohn einer weißen Mutter aus Kansas und eines schwarzen Vaters aus Kenia. Geboren am 4. August 1961 auf Hawaii, dem multi-kulturellen Schmelztiegel mitten im Pazifik, fünfeinhalb Stunden von jedem Kontinent entfernt.

Nach einer Zwischenstation in Indonesien, wohin Mutter Ann ihrem zweiten Ehemann Lolo Soreto gefolgt war, kehrt er nach Honolulu zurück. Dank eines Stipendiums kann "Barry", wie ihn hier alle nennen, zur Elite-Schule von Punahou gehen. Dort ringt er mit seiner Identität. Vater Barack Obama senior liefert kein Rollenvorbild, weil er sich nach Kenia abgesetzt hat.

Seine weißen Großeltern, in deren bescheidener Wohnung er aufwächst, sind mit dieser Aufgabe überfordert.

Auf der Suche nach seinen Wurzeln kehrt Obama als junger Mann in die Welt zurück, die seine Familie verlassen hatte: Er zieht gen Osten auf das Festland. Zuerst zwei Jahre nach Kalifornien ins College, dann zur Columbia Universität nach New York. Bevor er im Mittleren Westen ankommt, der Heimat seiner Familie. Obama arbeitet drei Jahre in den Ghettos der South Side von Chicago, bevor er an der Harvard Law School promoviert.

Zurück in Chicago trifft er Michelle Robinson, die aus einer armen, sehr religiösen Familie der South Side stammt. Mit ihr sucht er eine gemeinsame Kirche. Die Trinity United Church of Christ gilt keineswegs als radikal, sondern als Umfeld, in dem sich gut Kontakte zu wichtigen Leuten knüpfen lässt. Was dafür spricht, dass bei dem aufstrebenden Politiker ein gehöriger Schuss Opportunismus mit im Spiel war. Das spielt gewiss auch bei der Entscheidung eine Rolle, in die Hyde-Park-Nachbarschaft zu ziehen. Dem einzigen Viertel, wo Schwarz und Weiß zusammenleben. Brutstätte für liberale Reformpolitik und Gegenpol zu dem Sumpf aus Korruption, für den Chicago berühmt ist. In diesem unkonventionellen Umfeld begann Obama seinen politischen Aufstieg. Zunächst im Senat von Illinois, dann als Senator in Washington.

Im nationalen Bewusstsein verankert sich "das dürre Kerlchen mit dem komischen Namen" mit seiner Rede beim Parteitag der Demokraten 2004. Obama verspricht als Kandidat für das Weiße Haus, die Grabenkriege zu beenden, die durch zwei polarisierende Präsidenten der Vietnamkriegs-Generation geprägt waren. Statt mit ätzender Kritik profiliert er sich als Brückenbauer. Der Cowboy-Rhetorik des Amtsinhabers setzt er den Zauber seiner politischen Poesie entgegen.

Umso mehr irritiert das Gebaren seines Predigers, das Obama Mitte März plötzlich vor die größte Herausforderung seiner politischen Laufbahn stellt. "Kein Drama," weist er seine Mitarbeiter in der Wahlzentrale von Chicago an. Eine Devise, der er selber seit Eintritt in das öffentliche Leben folgt. "Er ist nicht einmal laut geworden," berichtet Lauretta Augustine Heron, die drei Jahre lang in den Ghettos von Chicago mit ihm zusammenarbeitete. Doch der Kandidat weiß, worum es geht, als er in Philadelphia live vor die Kameras tritt. Umgeben von einem Meer an Sternenbannern distanziert sich Obama entschieden von "den gründlich verzerrten Ansichten" Wrights. Geschickt verknüpft er die historischen Erfahrungen der Generation seines Predigers mit den Ängsten unterprivilegierter Weißer. Kommentatoren feiern die Grundsatzrede zu "Rasse und Religion in den USA" als historisch. Und ganz nebenbei kehrt Obama zu seinem zentralen Thema zurück: Brücken zu bauen. Zwischen Schwarz und Weiß, Arm und Reich, Jung und Alt, Amerika und der Welt.

Obama kann für die Demokraten schaffen, was Ronald Reagan für die Republikaner erreichte. Mit seinem Versprechen, den amerikanischen Traum zu erneuern und die USA nachhaltig zu prägen. Sein Slogan "Yes, we can" strotzt vor Optimismus. Die Massen, die seinen Veranstaltungen eine einzigartige Ikonografie verleihen, machen ihn zum genuinen Hoffnungsträger. Und das nicht nur in den USA, wie die Viertelmillion Zuhörer vor der Siegessäule in Berlin eindrucksvoll beweist. Das Versprechen des "Wandels" schafft aber auch Unsicherheit. Gerade bei Wählern über 50 und der weißen Landbevölkerung entlang der Ostküste. Ein fruchtbarer Boden für Taktiken, die darauf abzielen, Obama als jemanden darzustellen, der un-amerikanisch ist.

Doch in einem Jahr mit ausgeprägter Wechselstimmung kann der Kandidat auf eine andere historische Konstante hoffen: Dem Wunsch der Wähler nach einem Präsidenten, der das Gegenteil zum Amtsinhaber verkörpert. Dafür hat sich der feinsinnige Weltbürger aus Hawaii bestens positioniert. Im November hängt alles davon ab, ob die Amerikaner ihre Hoffnungen oder ihre Ängste wählen. Barack Hussein Obama verkörpert beides.

extra

Barack Obama macht Geschichte: Erstmals wurde mit dem Senator aus Illinois ein Schwarzer zum Präsidentschaftskandidaten in den USA ernannt. Die US-Demokraten stellten sich bei ihrem Wahlparteitag in Denver geschlossen hinter Obama (47) und bestimmten ihn zu ihrem Kandidaten für das Weiße Haus. Obama wurde per Akklamation durch lauten Beifall und Jubel gekürt. Für dieses Verfahren hatte seine ehemalige Konkurrentin Hillary Clinton plädiert, um die Wahlprozedur abzukürzen. Zum Abschluss des Parteitages wollte sich Obama vor 75 000 Zuschauern am Donnerstagabend (Ortszeit) in in einer mit Spannung erwarteten Rede an die Nation wenden.

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