Der kritische Geist der Genossen ist tot

BERLIN. Er sah sich als Mittler und Inspirator und war stets hin- und hergerissen zwischen Politik und Wissenschaft: Der ehemalige SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz, der über Parteigrenzen hinweg hohes Ansehen genoss, ist seinem Krebsleiden erlegen.

Er war der klassische Intellektuelle. Ein kritischer Geist und unabhängiger Kopf, der seine SPD auch gerne mit unangenehmen Wahrheiten konfrontierte und mit messerscharfen Analysen in Verlegenheit brachte. Am Donnerstagabend ist Peter Glotz, langjähriger Parlamentarier und Bundesgeschäftsführer der SPD, im schweizerischen Zürich an Lungenkrebs gestorben. Glotz, der 66 Jahre alt wurde, war Zeit seines politischen Lebens ein Exot, aber gleichwohl eingebettet in der SPD. Die Genossen begegneten dem wortgewaltigen Professor mit einer Mischung aus Skepsis und Bewunderung. Da viele seiner Argumentationskraft nicht gewachsen waren, ließen sie ihn zwar gewähren, lästerten aber zuweilen über den literarisch begabten Medien-Experten, der eigentlich lieber hochgeistige Artikel und Bücher schrieb (mehr als 30), als sich im alltäglichen Parteienstreit zu zermürben. Um seine Thesen unters Volk zu bringen, scheute er keine Mühen. So war der asketische Frühaufsteher selbst an Sonn- und Feiertagen oft an seinem Schreibtisch im (Bonner) Büro zu finden, "weil ich dann ungestört arbeiten kann". Ein "Workaholic" par excellence

Er war ein "Workaholic" par excellence. Der 1939 im böhmischen Eger geborene Glotz hatte in München und Wien Philosophie, Germanistik, Soziologie und Journalismus studiert. 1972 zog er in den Bundestag ein, wo er schon zwei Jahre später Parlamentarischer Staatssekretär im Bildungsministerium wurde. 1977 wechselte er als Senator für Wissenschaft und Forschung nach Berlin, seine "spannendste Zeit", die er als Politiker erlebte. Stets war er stolz darauf, im Westen der damals noch geteilten Stadt die nach den Studentenunruhen "völlig zerstörte Kommunikation zwischen Studentenschaft und Staat" wieder hergestellt zu haben. Das wollte er sein: Mittler und Inspirator. Als Bundesgeschäftsführer der SPD (1981 bis 1987) gelang ihm das nicht so gut. Allerdings wirkte er eher im Stillen (in einer völlig anderen Medienwelt als heute) und überließ die öffentliche Darstellung dem Parteivorsitzenden Willy Brandt, den er bewunderte und verehrte. Stets schwankend zwischen seinen beiden Leidenschaften, entschied er sich 1996 endgültig für die Wissenschaft und gegen die Politik: Er verließ den Bundestag und wurde Gründungsrektor der Universität Erfurt. Vier Jahre später wechselte er als Gastprofessor nach St. Gallen in die Schweiz. Glotz war dreimal verheiratet und hat mit seiner dritten Frau Felicitas Walch einen heute siebenjährigen Sohn. Dass Peter Glotz parteiübergreifend Ansehen genoss, zeigen auch die Reaktionen zu seinem Tod. Politiker aller Parteien würdigten am Freitag die Lebensleistung des Verstorbenen. SPD-Chef Franz Müntefering sagte, sein "kritischer Geist" werde der Partei "sehr fehlen". Auch Bundespräsident Horst Köhler zollte der "Brillanz und dem publizistischen Können" von Peter Glotz hohen Respekt.

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