Der nächste Knall kommt bestimmt

Folge tagelanger heftiger Streitereien: In einem der abgeschiedenen Räume unterhalb der Reichstagskuppel traf sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gestern mit SPD-Chef Kurt Beck und Vizekanzler Franz Müntefering zum morgendlichen Krisengespräch. Eine Stunde lang. Danach versuchten alle Beteiligten, die Gemüter zu beruhigen.

Berlin. Das Schöne am Reichstag ist seine Weitläufigkeit mit den vielen Ecken, Winkeln und Räumen, in die man sich schnell und unerkannt zurückziehen kann, wenn es etwas zu bereden gibt. Zwar herrscht nicht erst seit letztem Donnerstag, seit den massiven Angriffen auf Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble innerhalb der Großen Koalition erhöhter Gesprächsbedarf. Aber die Attacken gegen den ungeliebten CDU-Minister vom Koalitionspartner SPD markieren eine neue Qualität des Umgangs miteinander innerhalb des Bündnisses. So heftig ging es noch nie zur Sache. Grund genug für Angela Merkel, die Reißleine zu ziehen.Bei zentralen Themen massiv über Kreuz

Dann nach dem Krisengespräch mit Beck und Müntefering: Es müsse wieder "besonnen" debattiert werden, mahnte Merkel. "Wir wollen deeskalieren", betonte Beck. Es gebe keine Koalitionskrise. Bei 90 Prozent der Aufgaben sei man sich einig. Das sieht so mancher im Bündnis inzwischen anders: Bahnprivatisierung, Mindestlohn für Postbedienstete, innere Sicherheit und Terrorabwehr, man geht sich gehörig auf die Nerven, weil man bei zentralen Themen massiv über Kreuz liegt. Und längst geht es auch nicht mehr nur um die einzelnen Sachfragen, sondern um die Art und Weise, wie man die unterschiedlichen Positionen nach außen vertritt: "Unser Koalitionspartner hat einen Stil gewählt, der in einer Koalition nicht üblich ist und auch nicht üblich werden darf", ätzte Unionsfraktionschef Volker Kauder gestern immer noch, nachdem er am Donnerstag empört den Plenarsaal verlassen hatte. Da hatten die Genossen gerade Minister Schäuble wegen seiner Äußerungen über die Gefahr einer "schmutzigen" Terrorbombe zum Abschuss frei gegeben. Man wird in der Parlamentsgeschichte wohl vergeblich einen vergleichbaren Vorgang unter Koalitionären suchen. Der Ton macht die Musik, und der ist inzwischen "unterirdisch", so ein CDU-Abgeordneter. SPD-Parlamentarier sind es hingegen Leid, sich permanent von der Union "provozieren" lassen zu müssen, wie einer sagte. Die Genossen fühlen sich vorgeführt, weil ihnen die Union thematisch kaum Chancen zur Profilierung lässt. Krach ist dadurch programmiert. Kanzlerin Angela Merkel wird im Laufe der Woche gemerkt haben, dass sich der große Knall anbahnt. Spätestens wohl, als Vizekanzler Müntefering zur feixenden Genugtuung der SPD-Abgeordneten von "Demarkationslinien" sprach, die seitens der CDU-Minister überschritten worden seien. Einzelgespräche und Wirken nach innen

Merkel nutzte deshalb die Sitzungswoche von Bundestag und Bundesrat dazu, intensiver als sonst in Einzelgesprächen mit Ministern und Koalitionären die Wogen zu glätten und "nach innen" zu wirken, wie der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg bestätigte. Mit mäßigem Erfolg: Verteidigungsminister Jung (CDU) musste sich trotzdem böse Vorwürfe anhören wegen seiner Äußerungen zum Abschuss von Passagierflugzeugen. Jung wurde aber allseits noch zugute gehalten, er thematisierte nur ungeschickt ein Verfassungsdilemma. Bei Schäuble brachen schließlich die Frust-Dämme angesichts seiner provokanten Stakkato-Vorschläge zur inneren Sicherheit. "Es musste mal raus", so ein SPD-Mann. "Das Klima hat sich in den letzten Monaten deutlich verschlechtert. Wenn das in der zweiten Halbzeit nicht besser wird, wird das ein langes Gequäle werden", befand gestern Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach düster. Auf den Fluren des Reichstages gab es viel Zustimmung zu dieser Einschätzung - aus beiden Fraktionen. Der nächste Knall scheint damit sicher zu sein. Meinung Eine neue Qualität Es ist nicht neu, dass die Koalitionäre einmal Dampf ablassen müssen. In den letzten zwei Jahren war das häufiger der Fall. Neu ist die Qualität, die Heftigkeit der gegenseitigen Attacken. Für Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Chef Kurt Beck, auch für die beiden Fraktionschefs Struck und Kauder muss die jüngste Krise ein schrilles Warnsignal sein. Sie müssen hellhörig werden: Während die Häuptlinge stets davon reden, die Koalition bis 2009 zum Erfolg führen zu wollen, pfeifen die Indianer im Bundestag darauf. Dann zofft man sich wie die Besenbinder. Immerhin: Merkel und Beck wissen, dass sie zum Weitermachen verdammt sind. Es gibt derzeit keine Ausstiegsoption. Die Geschichte zeigt: Wer ein Bündnis bricht, wird vom Wähler bestraft.

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