Deutsche Standards auf dem Altar Europas

TRIER. Europa auf der Straße: Wer im Ausland in einen Unfall verwickelt ist oder sich als Verkehrsrowdy aufführt, lernt das Rechts- und Bußsystem derEU-Nachbarländer kennen.Selten wird dabei mit deutschen Maßstäben gerechnet.

Bis zu 145 Euro Bußgeld fürs Rasen und bis zu 75 Euro bei einem Parkverstoß: Wer in Luxemburg mit dem Gesetzeshüter in Konflikt gerät, hat im Vergleich zu deutschen Geldbußen und Geldstrafen denkbar schlechte Karten. Noch höher sind die Strafen gar in Belgien etwa fürs Rasen oder bei Überholverbot mit mindestens 150 und 175 Euro Bußgeld. Denn hierzulande sind bei solchen Vergehen lediglich 35, 50 oder 125 Euro Strafe fällig (siehe Grafik). Eckhart Jung, Leiter der ADAC-Justizabteilung, weiß, warum: "Wir haben in Deutschland eine relativ hohe Kontrolldichte und geringe Strafen. Im Ausland ist das anders", sagt Jung bei den 5. Europäischen Verkehrsrechtstagen, die vom Institut für Europäisches Verkehrsrecht und der Europäischen Rechtsakademie (Era) in Trier für 200 Juristen und Experten aus Politik, von Automobilverbänden und der Versicherungswirtschaft ausgerichtet wurden.50 000 Deutsche in Unfälle im Ausland verwickelt

Dass gerade im Verkehrswesen in der Europäischen Union (EU) noch einiges im Argen liegt, fällt gerade deshalb auf, weil Millionen Bürger jeden Tag auf den Straßen Europas unterwegs sind - die offenen Grenzen machen's möglich. Unfälle mit ausländischer Beteiligung sind an der Tagesordnung. Allein 50 000 Deutsche sind jedes Jahr in Unfälle im Ausland verwickelt, ermittelte der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft. Frühestens 2007, gehen die Verkehrsexperten in Trier davon aus, wird es auch möglich sein, Geldbußen und Geldstrafen ab 70 Euro europaweit anzuerkennen und zu vollstrecken. Denn erst dann könnte ein entsprechender EU-Rahmenbeschluss in Kraft treten. "Bis dahin müssen viele rechtliche Probleme geklärt werden wie etwa die Sprache, in der die Bußgeldbescheide ausgestellt werden und ob die Strafen des Auslands oder des Heimatlandes gelten", sagt Jung. Bei einer Harmonisierung müssten zwar alle Federn lassen. Aber die deutschen Verkehrsregeln dürften nicht "auf dem Altar Europas geopfert werden", fordert er. Lediglich Knöllchen deutscher Verkehrsrowdys ausÖsterreich können derzeit schon von deutschen Behörden eingetrieben werden. "Zwar gibt es das EU-weite Rahmenabkommen, aber in der Praxis findet es für Deutschland keine Anwendung", sagt ADAC-Juristin Katrin Stroech. Es sei denn, man reise erneut in das Land ein und werde dann von der Polizei erwischt. "Dann wird der Verstoß fällig." Nichtsdestotrotz werde versucht, Parkverstöße aus dem Ausland über inländische Kanzleien einzutreiben. "Da muss man vorsichtig sein und sich wehren", rät die Juristin. Komplizierter ist es noch, wenn Menschen verletzt oder gar getötet werden. Auch dann zählt das Recht des Unfallortes. So gilt in Frankreich bereits ein Unfall mit acht Autos als Massenkarambolage, während in Deutschland dazu 50 Fahrzeuge nötig sind - wichtig, wenn es um Versicherungsleistungen geht. "Die Identifikation der Schäden und des Ersatzes sind zwar gleich, aber es gibt 25 verschiedene Entschädigungsregeln, egal, ob es um Schmerzensgeld oder das Sozialversicherungsrecht geht", sagt Hubert Groutel, Verkehrsrechts-Professor in Bordeaux. Dass ein Schaden im Ausland nach deutschem Standard ersetzt wird, ist folglich kaum möglich, sei es, dass das ausländische Recht andere Schadenssummen für Mensch und Auto ausweist oder die Reparatur-Sätze in ausländischen Werkstätten andere sind. Und dies soll sich auch nicht ändern, denn die EU-Kommission will grundsätzlich am jahrzehntealten Prinzip der Rechtsgültigkeit des Unfallorts festhalten. Eine Auffassung, die Willy Rothley, Präsident des Instituts für Europäisches Verkehrsrech, nicht teilt. "Jedes Opfer sollte nach den Regeln seines Landes entschädigt werden. Es kennt dort seine Rechte am Besten. Außerdem gibt es keine Irritationen mit den Sozialversicherungen", sagt er. Denn häufig fänden sich die Unfallopfer in ausländischen Systemen nicht wieder, jahrelange Prozesse folgten, die Entschädigung reiche nicht aus. "Und: So gäbe es automatisch eine Harmonisierung in diesem Bereich", ist Rothley überzeugt.

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