"Die Öffentlichkeit wurde gezielt getäuscht"

Die geplante Diäten-Erhöhung für Bundestagsabgeordnete stößt auf Kritik. Der renommierte Parteienkritiker Professor Hans Herbert von Arnim glaubt, dass das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen ist.

Trier. (sey) "Die Diäten-Erhöhung kippt noch", sagte von Arnim im Gespräch mit TV-Redakteur Rolf Seydewitz.

Sie werfen Schwarz-Rot vor, bei der geplanten Diäten-Erhöhung die Öffentlichkeit in die Irre geführt zu haben. Warum?Von Arnim: Die Großkoalitionäre begründen die abermalige Erhöhung damit, dass sie gar nicht anders könnten, weil im Abgeordnetengesetz ja stehe, die Diäten würden nach den Beamtenbezügen ausgerichtet. Im Gesetz aber steht, dass eine weitere Anpassung über die im November beschlossene hinaus erst später erfolgen sollte - frühestens 2010. Wenn man das jetzt anders darstellt, ist das eine richtige Täuschung der Öffentlichkeit.

Sie sagen also: Eine Erhöhung erst 2010 wäre gesetzeskonform, eine Diäten-Erhöhung bereits im nächsten Jahr dagegen nicht.Von Arnim: Genau. Der Hintergrund ist offenbar, dass sich derartige Dinge in einer Großen Koalition einfacher durchsetzen lassen. Auch in der ersten Großen Koalition in den 60er Jahren wurde höchst Anfechtbares beschlossen: etwa die Einführung einer staatlich finanzierten Altersvorsorge oder die Parlamentarischen Staatssekretäre. Über Letztere sagen manche nicht ganz zu unrecht, sie seien so überflüssig wie ein Kropf...

Diese Anmerkung wird dem hiesigen SPD-Finanzstaatssekretär Karl Diller aber nicht gefallen...Von Arnim: Natürlich hören das die Betroffenen nicht gerne, und es gibt ja auch Ausnahmen.

Zurück zum Thema Diäten. Ist es nicht sinnvoll, die Abgeordneten-Bezahlung an die Beamten- und Richterbesoldung zu koppeln?Von Arnim: Nein. Da werden Äpfel mit Birnen verglichen. Gegenüber Bundesrichtern sind die Abgeordneten schon jetzt finanziell deutlich besser gestellt. Sie haben die steuerfreie Kostenpauschale in Höhe von monatlich 3820 Euro. Zudem erwerben Abgeordnete bereits nach einem halben Arbeitsleben ab dem 57. Lebensjahr eine volle Altersversorgung. Dieses Privileg haben Richter auch nicht. Außerdem können die Parlamentarier nebenher unbegrenzt verdienen.

Wie sollte ein Bundestagsabgeordneter denn bezahlt werden?Von Arnim: Ich bin schon dafür, dass die Abgeordneten weiter über ihre Diäten selbst entscheiden. Aber es sollte ein anderer Mechanismus eingeführt werden. Etwa, dass solche Entscheidungen erst eine Legislaturperiode später in Kraft treten dürfen. Dann wissen die Abgeordneten nicht sicher, ob sie überhaupt wieder im Parlament sitzen. Und es wären Wahlen dazwischen, in denen die Abgeordneten die Erhöhung vor der Öffentlichkeit rechtfertigen müssten.

Unions-Geschäftsführer Norbert Röttgen hat gesagt, Sie seien "seit langem nicht mehr zu den seriösen Kritikern zu zählen". Was antworten Sie Herrn Röttgen?Von Arnim: Es ist nicht der erste öffentliche Strauß, den ich mit den Parteien ausfechte. Wenn Politiker gegen Kritiker persönlich werden, ist das für mich ein Signal, dass sie in der Sache nichts mehr zu sagen haben. Gerade Herr Röttgen sollte still sein: Er war derjenige, der neben seinem aus Steuern bezahlten Bundestagsmandat auch noch einen hoch bezahlten Lobbyposten - Geschäftsführer beim Bundesverband der Deutschen Industrie - bekleiden wollte. Er wollte zwei Herren dienen, was nicht besonders ehrenwert ist. Erst nach massiver Kritik hat Röttgen davon Abstand genommen.

Wie hoch schätzen Sie denn die Chance ein, dass die Diäten-Erhöhung noch kippt?Von Arnim: Ich glaube, sie kippt noch. Es ist noch weitgehend unbekannt, dass sich die Große Koalition auf eine Begründung stützt, die nicht stimmt. Die Kritik wird größer, die Mitglieder laufen den Parteien davon, obwohl sie alles versucht haben, die Sache geräuschlos über die Bühne zu bringen. Aber das Gegenteil ist eingetreten.

Zur Person

Hans Herbert von Arnim (Foto: dpa), Jahrgang 1939, lehrt als pensionierter Universitätsprofessor an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Gerade erschien das neueste Buch des Parteienkritikers: Die Deutschland-Akte - Was Politiker und Wirtschaftsbosse unserem Land antun.

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