Die Angst der SPD vor Neuwahlen

BERLIN. Was wäre, wenn? Für den Fall des Scheitern seiner "Reform Agenda 2010" hat Gerhard Schröder bereits unverhohlen mit Rücktritt gedroht. Für die SPD ein Horror-Szenario: Falls der Kanzler tatsächlich hinschmeißt, wären Neuwahlen unausweichlich.

Olaf Scholz ist schon von Berufs wegen zum Optimismusverpflichtet: "Die rot-grüne Mehrheit wird stehen", ruft derSPD-Generalsekretär wie auf Knopfdruck in die Mikrofone, wennJournalisten über ein mögliches Scheitern der "Reformagenda 2010"orakeln. Die Kritiker in den sozialdemokratischen Reihen erweckengleichwohl nicht den Eindruck, als wollten sie klein bei geben.Und auch bei den Schröder-Getreuen dominiert die harte Linie.Läuft der Kanzler nicht doch Gefahr, am Ende ohne eigene Mehrheitda zu stehen? Für diesen Fall hat Gerhard Schröder vorgebaut. Zumindest rhetorisch. "Wer anderes beschließen oder durchsetzen will, der muss wissen, dass er mir die inhaltliche Grundlage für meine Arbeit entzieht und mich zu Konsequenzen zwingt", ließ er die Nation wissen. Eine Äußerung, die unwidersprochen als Rücktrittsdrohung verstanden wurde. Doch einfach die Brocken hinzuschmeißen verbietet schon das Grundgesetz. Nach Artikel 69 ist der Kanzler auf Ersuchen des Bundespräsidenten "verpflichtet", die Amtsgeschäfte bis zur Ernennung eines Nachfolgers weiter zu führen. Nach Artikel 68 kann Gerhard Schröder die Vertrauensfrage stellen.

Davon machte der Niedersache schon einmal Gebrauch, als er den entsprechenden Antrag im November 2001 mit der Abstimmung über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr verknüpfte. Damals drohte die Koalition an den Pazifisten in der grünen Fraktion zu scheitern. Am Ende erhielt Schröder nur zwei Stimmen mehr, als für die erforderliche "Kanzlermehrheit" notwendig gewesen wären. Falls Schröder damals verloren hätte, wäre der Bundespräsident nach Artikel 68 berechtigt gewesen, den Bundestag binnen 21 Tagen aufzulösen. Das bedeutet Neuwahlen, es sei denn das Parlament hätte mehrheitlich einen anderen Kanzler zum Nachfolger Schröders bestimmt.

Theoretisch könnte der Regierungschef nun auch seine "Agenda 2010" an die Vertrauensfrage koppeln, um den Druck auf die Abweichler zu erhöhen. Allerdings müsste Schröder dieses Mittel heftig strapazieren. Denn für die geplanten Reformen sind mehrere Einzelgesetze erforderlich, die obendrein zu unterschiedlicher Zeit behandelt werden. Zunächst dürften die neuen Gesundheitsregelungen im Parlament anstehen, bei denen es unter anderem um die von den Kritikern abgelehnte Ausgliederung des Krankengeldes aus der paritätischen Finanzierung geht. Bei der Rentenreform ist dagegen noch nicht einmal klar, ob sie in dieser Wahlperiode überhaupt kommt.

Falls Schröder seinen angedrohten Rücktritt ohne Vertrauensfrage wahr machen würde, käme nach Einschätzung von Verfassungsrechtlern der Paragraf 63 des Grundgesetzes zum Zuge, der ebenfalls auf die Auflösung des Bundestages und damit auf Neuwahlen hinaus läuft.

In der Union macht man sich darauf allerdings keine Hoffnung. Angesichts der schlechten Umfragen für die SPD wäre die rot-grüne Regierung "bescheuert, sich selbst aus dem Amt zu kegeln", heißt es dort. Umgekehrt dürften die hohen Popularitätswerte für die Union kaum dazu angetan sein, dass CSU und CDU auf Bitten Schröders in eine große Koalition eintreten, um dort den Juniorpartner zu spielen.

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