Die Deutschen lieben ihr Land

Berlin. Die Deutschen wollen eine "soziale Leistungsgesellschaft". Sie sind bereit, mehr zu arbeiten. Die Reformbereitschaft ist hoch. Das sind einige Kernaussagen der Studie "Perspektive Deutschland", an der 620 000 Bundesbürger in einer Online-Umfrage zwischen Oktober 2005 und Januar 2006 teilnahmen.

Eine stärkere Leistungsorientierung wird der Umfrage zufolge allerdings mit dem ausgeprägten Wunsch nach sozialem Ausgleich verbunden. Die Bundesbürger blicken heute auch weniger pessimistisch in die Zukunft. Und anders, als es die niedrigen Geburtenraten zunächst vermuten lassen, ist die Sehnsucht nach Kindern unter jungen Deutschen sehr ausgeprägt. Altbundespräsident Richard von Weizsäcker, Schirmherr der Studie, gestern in Berlin: "Der deutliche Auftrag an die Politik lautet, die sozialen Ziele nicht aufzugeben, aber Anreize zu schaffen, die das private Angebot an Leistung fördern." 62 Prozent der Bundesbürger fordern einen schnelleren gesellschaftlichen Wandel in Deutschland. Von der großen Koalition erwarten sie, dass Reformen energischer vorangetrieben werden. 61 Prozent finden, dass die bisherigen Reformen nicht ausreichen. Besonders kritisch gehen die Deutschen mit der Politik ins Gericht, zu der sie ausgesprochen "wenig Vertrauen" haben. Über 80 Prozent sehen ,,dringenden Verbesserungsbedarf" bei den Parteien, 75 Prozent sind mit der Arbeit der Abgeordneten im Bundestag unzufrieden. Gegenüber früheren Untersuchungen nimmt die Leistungsbereitschaft im Land insgesamt zu. 79 Prozent geben an, mehr arbeiten zu wollen. 80 Prozent wollen eine Tätigkeit mit hoher Selbstständigkeit und guten Aufstiegschancen, "selbst bei hohem Risiko". 83 Prozent fordern aber auch: "Wer viel leistet, sollte stärker belohnt werden als heute." Fleißig und ehrgeizig zu sein, ist für 72 Prozent wichtig. Gleichzeitig plädiert die Mehrheit der Bundesbürger dafür, dass der Staat mehr Lebensrisiken trägt. Anders als beim Thema Rente, bei dem die Mehrheit die Notwendigkeit zur privaten Altersvorsorge inzwischen akzeptiert hat, sehen die Deutschen beim Thema Gesundheit wieder stärker den Staat in der Pflicht. Im Gegensatz zu früheren Umfragen präferiert die Mehrheit nicht mehr eine Basisversorgung zu niedrigen Beitragssätzen, sondern spricht sich nun für eine umfassende Absicherung durch den Staat aus, auch wenn dann die Beiträge steigen.Arbeitsmarkt bleibt wichtigstes Thema

Insgesamt blicken die Deutschen auch etwas weniger pessimistisch in die Zukunft als bei der Umfrage im Jahr zuvor. Die persönlichen Sorgen sind aber weiterhin unverändert groß. 59 Prozent machen sich ernste Sorgen, dass sich ihre finanzielle Situation verschlechtern könnte, und 58 Prozent fürchten, dass sie im Alter nicht ausreichend für ihren Lebensunterhalt und die Gesundheitskosten aufkommen könnten. Nach wie vor ist der Arbeitsmarkt mit großem Abstand das wichtigste Reformthema, das die Bundesbürger umtreibt. Die Bereitschaft zu mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt ist sichtbar, die Bereitschaft zu persönlichem Verzicht bei etwa einem Drittel inzwischen vorhanden. Wunsch und Wirklichkeit klaffen beim Thema Kinder laut Umfrage besonders stark auseinander. Sieben von acht Frauen und Männern zwischen 20 und 39 Jahren haben oder wünschen sich Kinder. Nur zwölf Prozent sprechen sich klar gegen eigenen Nachwuchs aus. Der rechnerisch durchschnittliche Kinderwunsch liegt bei 1,9 Kindern je Frau und damit deutlich über der tatsächlichen Geburtenziffer von gut 1,3. Akademikerinnen wollen dabei genauso gerne ein Kind wie andere Frauen. Bei Eltern nennen allerdings gleich zwei Drittel die Kosten als Grund, weshalb sie sich kein weiteres Kind zulegen. Jede zweite Mutter befürchtet zudem berufliche Nachteile. In Westdeutschland empfinden zudem 45 Prozent der Mütter fehlende Betreuungsmöglichkeiten als großes Hindernis für weitere Kinder, im Osten 31 Prozent. In Deutschland kann man insgesamt gut oder sehr gut leben, sagen 61 Prozent der Befragten. Nur sieben Prozent zeigen sich unzufrieden. Die zufriedensten Deutschen leben in Baden-Württemberg. Stuttgart ist zudem die beliebteste Großstadt, dicht gefolgt von München. Der Raum Bodensee-Oberschwaben ist die beliebteste Region. Deutschland leidet zwar immer noch unter dem Ost-West-Gefälle. Doch es gibt auch einige Lichtblicke, so die Wirtschaftszentren Leipzig und Dresden. Die Studie wurde von der Unternehmensberatung McKinsey erstellt. Beauftragt wurde die Erhebung von der Illustrierten "Stern" und vom ZDF.

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