Die Flügel sind wieder da

BERLIN. Er selbst hatte die Debatte eröffnet und legte gestern nach: Der designierte SPD-Vorsitzende Kurt Beck hat am Montag bei seiner ersten Grundsatzrede in Berlin wiederholt: "Mit einer Steuerlastquote wie bisher können wir die Aufgaben schlicht und einfach nicht erfüllen. Dabei bleibe ich."

Das hatte sich die SPD-Spitze wohl anders vorgestellt. Über den Tag hinausschauen wolle man, "das große Gespräch mit der Gesellschaft eröffnen", so beschrieb Parteivize Ute Vogt gestern den Sinn einer Veranstaltung im Berliner Congress-Centrum zum neuen Grundsatzprogramm der Partei. Doch es wurde über weite Strecken eine Diskussion darüber, wie und wo der Staat künftig wieder mehr Steuern verlangen soll. Kurt Beck wurde nicht konkret, ob und welche Steuern er erhöhen will, oder ob es ihm nur um die Schließung von Steuerschlupflöchern geht. Auch betonte er, dass weiter eisern gespart werden müsse. Trotzdem hat Becks Vorstoß dafür gesorgt, dass alte Lieblings-Streitthemen der Partei wieder hochgekommen sind, und die Flügel wieder heftiger schlagen. Am deutlichsten wurde IG-Bau-Chef Klaus Wiesehügel in seinem Debattenbeitrag. Die Verteilungsgerechtigkeit fehle ihm im bisherigen Programmentwurf, sie werde nur "verschämt erwähnt". Er sei für einen höheren Spitzensteuersatz und eine Unternehmenssteuerreform, die "neutral" sei, also die Firmen unter dem Strich nicht entlastet. Die Parteirechte hielt scharf dagegen: "Es wird bei den Steuern nichts über das von der großen Koalition Beschlossene hinaus geben", betonte etwa Klaas Hübner, Sprecher des Seeheimer Kreises. Und Finanzminister Peer Steinbrück sagte, wer die Erbschaftssteuer erhöhen wolle, müsse vorher klären, wie im Erbschaftsfall mit Betriebsvermögen umgegangen werden solle. Bei dieser Auseinandersetzung ging fast unter, dass die SPD mit dem neuen Programm viele ihrer alten Ansätze korrigiert. Dass die Partei so konsequent Schlüsse aus neuen Entwicklungen ziehe, lobte Gastredner Tim Renner, Medienunternehmer. Wichtigste Neuerung ist die These vom vorsorgenden Sozialstaat, die in dem noch vom alten Parteichef Matthias Platzeck formulierten Papier zentral steht. Dies bedeute, dass Deutschland eine Bildungsgesellschaft werden müsse, die vor allem den jungen Menschen Chancen eröffne, meinte Beck. Der Sozialstaat müsse helfen, "wo Hilfe geboten ist", aber es gelte auch das Prinzip von Fördern und Fordern. Massive Kritik am alten, nachsorgenden Sozialstaatsmodell übte Steinbrück: Dieses sei, "wenn wir ehrlich sind", nicht erfolgreich gewesen, es habe die Menschen zu sehr alimentiert und "in der Sozialhilfe gebunden". Diese Thesen blieben überraschenderweise unbestritten - ebenso wie Becks Ansatz, die Sozialversicherungen künftig mehr aus Steuern und weniger aus Beiträgen zu finanzieren. Der designierte Parteivorsitzende blieb hier aber sehr vorsichtig und sprach nur davon, dass man dies "auf der Zeitschiene immer wieder überprüfen" müsse. Aus gutem Grund. Zwar meinten fast alle Redner, dass es richtig sei, die Sozialkassen nicht mehr allein aus Arbeitseinkommen zu finanzieren. Welche Steuern aber künftig für Renten und Krankenversicherung herhalten müssen, war sofort wieder umstritten.

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