Die Jungen ticken anders

Ein Umbruch epochalen Ausmaßes zeigt sich bei der Bundestagswahl 2009 im Bereich der Jungwähler. Sie fliehen massenhaft vor der SPD, zeigen der CDU die kalte Schulter, denken grün, sind erstaunlich liberal, aber durchaus experimentierfreudig. Ihr verändertes Verhalten wird auch die Politik verändern.

Berlin. Jahrzehntelang galt in Deutschland allen Wählerwanderungen zum Trotz ein eherner Grundsatz: Die Jugend steht links. Davon profitierte meist die SPD, mit Traum-Wähleranteilen in der Nähe der absoluten Mehrheit. Um so bitterer die Erkenntnis des totalen Absturzes: Die Sozialdemokraten konnten bei den Wählern im Juso-Alter - also bis 34 Jahre - laut Infratest-Dimap ganze 17 Prozent erobern - nicht einmal annähernd halb so viel wie bei den letzten Wahlen.

Aber davon hat keineswegs die CDU profitiert. Bei den Unter-30-Jährigen kommt die Union laut Allensbach auf mäßige 26 Prozent, die ehemalige Große Koalition konnte bei den Jungwählern also gemeinsam gerade mal 43 Prozent für sich erwärmen.

Verwundern kann das nicht. Die CDU, aber noch mehr die SPD, steht primär für fantasielose Besitzstandswahrung und altbackene Traditionspflege. Die ständig weiter wachsende Verschuldung, die absurde Renten-Garantie, die nach wie vor mäßige internationale Platzierung Deutschlands bei den Ausgaben für Bildung und Kinderbetreuung, die überfüllten Unis: All das hat bei jungen Wählern den Eindruck aufkommen lassen, gerade die "Volksparteien" schielten mit ihrer Politik stets auf ihre klassische, ältere Klientel.

"Nicht die Jungen sind politikverdrossen, sondern die Politik ist jugendverdrossen", auf diese Formel bringt es der 25-jährige Soziologie-Jungstar Wolfgang Gründinger. Das mag damit zusammenhängen, dass bei CDU und SPD die Hälfte der Mitglieder älter als 60 ist.

Andere Parteien kommen offenbar besser weg. So schafft es die FDP, unter Jungwählern einst so hip wie Florian Silbereisen, in dieser Gruppe inzwischen auf stolze 17 Prozent - gleichauf mit der SPD. Viele Jüngere nehmen den Liberalen am ehesten ab, dass sie sich an die schmerzhafte Sanierung und Demografie-Anpassung von Rentenversicherung und Gesundheitswesen machen - bevor die jetzigen Jungwähler als Minimal-Einheitsrentner die Zeche für die jahrelange halbgare Herumreformiererei zahlen.

Aber auch die Grünen können sich im Glanz von 15 Prozent Jungwähler-Anteil sonnen. Öko ist in, obwohl gerade die Grünen inzwischen als "gealterte Protestpartei" gelten. Doch sie können sich, wie es scheint, auf "nachwachsende Rohstoffe" verlassen.

Während die Linke die geringsten Unterschiede in der Altersstruktur ihrer Wähler aufweist, hat sich eine andere Partei aus dem Stand als Überraschungs-Treffer bei den Erstwählern etabliert: Die Piraten-Partei, von den anderen eher als Gag betrachtet, konnte sagenhafte 13 Prozent bei den männlichen Erstwählern einfahren, landete in vielen größeren Städten bei drei Prozent plus X und sicherte sich einen Spitzenplatz unter den anonymen "Sonstigen". Wenn den Etablierten außer peinlichen Anbiedereien ans junge Publikum nichts einfällt, könnten die Piraten schon den nächsten Bundestag unversehens entern.

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