Die Nerven liegen blank

BERLIN. Krisenzeiten für Rot-Grün: Während die Auseinandersetzungen mit der Union weiter eskalieren, verheißen auch die politischen Rahmenbedingungen wenig Gutes für die Regierungskoalition.

Im Windschatten einer außergewöhnlich scharfen Auseinandersetzung um die politische Kultur in Deutschland werden heute in Nürnberg die Arbeitslosenzahlen für Februar bekannt gegeben. Dabei wird ein neuer Nachkriegsrekord erwartet. Gleichzeitig wurde am Montag in Berlin die Befürchtung geäußert, dass sich die rund 20 Millionen Rentner in Deutschland auf eine weitere Nullrunde in 2005 einstellen müssen. Jenseits dieser Debatte richtete der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering schwere Vorwürfe an die Union, indem er betonte, CDU und CSU vergifteten mit Attacken "an der Grenze zu moralischer Verkommenheit" das Klima im Lande. Auslöser waren Äußerungen von CSU-Generalsekretär Markus Söder, der Bundeskanzler Gerhard Schröder am Sonntag indirekt für Verbrechen an Kindern mitverantwortlich gemacht hatte, weil die Gesetze angeblich zu lasch seien. Dies hatte parteiübergreifend Empörung hervor gerufen. In einem außerordentlich scharf formulierten Brief an seine Partei warf Müntefering der Union einen "Niveausturz" ohnegleichen vor. Wörtlich schrieb er: "Sie setzen auf Lüge und Verleumdung. Sie wollen die Macht. Total. Im Bund und in den Ländern. Mit welchen Mitteln auch immer". Auch in der CDU stießen die Vorwürfe Söders auf Widerspruch. Der Generalsekretär habe "überzogen" und liege "ziemlich daneben", hieß es gestern im Konrad-Adenauer-Haus. Das sei nicht sachdienlich und lenke lediglich von den Problemen ab. Von diesen gibt es tatsächlich genug, wie am Montag abermals deutlich wurde. Der Bund habe sich bei der Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe (Hartz IV) finanziell übernommen, sagte Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) in Hannover. Er rechne allein bei den Geldleistungen für die Bezieher von Arbeitslosengeld II mit einer Finanzlücke von sieben Milliarden Euro. Hinzu kämen die Belastungen aus den Unterkunftskosten, die noch zu ermitteln seien. Damit stehe die Finanzierung der gesamten Reform in Frage, meinte Wulff. Die neue Nullrunde für die Rentner deutet sich seit längerem an. Da sich die jährliche Rentenanpassung an der Entwicklung der Löhne und Gehälter orientiert, sei auch in diesem Jahr mit keinem Anstieg zu rechnen, hieß es am Montag im Sozialministerium. Zwar gibt es wohl eine geringe Steigerung der Löhne und Gehälter, doch wird der Effekt durch den so genannten Nachhaltigkeitsfaktor gedämpft.Mehr Arbeitslose im Februar

Gedämpft wird auch die Hoffnung von Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement nach einer baldigen Absenkung der Arbeitslosenzahlen. Nach Ansicht von Analysten dürfte die Zahl der Arbeitslosen im Februar um etwa 200 000 auf 5,2 Millionen gestiegen sein. Clement selbst nannte die Lage am Montag "außerordentlich schwierig". Gleichwohl hoffe er auf eine Entspannung der Situation im Frühjahr. Extrem angespannt bleibt die Lage auf jeden Fall für den Minister und die gesamte Bundesregierung. Das zeigte sich gestern auch auf der Vorstandssitzung der SPD, bei der Clement unverhüllte Kritik seiner Kollegen einstecken musste. Einerseits wurde sein "unnötiger" Steuerstreit mit Finanzminister Eichel bemängelt, zum anderen forderte der linke Flügel der SPD Sofortmaßnahmen vor allem gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Clement setzte sich zur Wehr und verwies auf bereits beschlossene Initiativen. Dem Vernehmen nach war die Stimmung im SPD-Vorstand "nicht gut". Offenbar lägen die Nerven blank, hieß es aus Teilnehmerkreisen.

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