Neue Therapie im Trierer Brüderkrankenhaus soll bei chronischen Schmerzen helfen

Trier · Mit einer neuen Therapie bringt das Brüderkrankenhaus Trier verzweifelten Schmerzpatienten wie Harald Schmitt Lebensqualität zurück.

Vor knapp zwei Jahren konnte Harald Schmitt nur noch wenige Schritte gehen. Starke Schmerzen machten sein Leben zur Höllenqual. "Niemand kann sich vorstellen, wie schlimm das ist", sagt der 60-Jährige, wenn er sich an die zehn Jahre erinnert, in denen auch starke Medikamente nicht helfen konnten, die ständigen Schmerzen nach mehreren Bandscheibenvorfällen zu lindern. "Niemand kann nachempfinden, wie negativ das ein Leben beeinflusst."

Bei diesen Erinnerungen erlischt für kurze Zeit der Schalk, der sonst aus den Augen des Mannes blitzt, während er - zwar mit Stock, aber doch zügig - nach dem Kontrollbesuch im Brüderkrankenhaus durch den langen Flur zum Fototermin in Richtung Garten geht. Schmitt war der erste Patient, dem in der Trierer Klinik ein Schmerzschrittmacher eingesetzt wurde. Mit dieser noch neuen Therapie (siehe Info) werden seit 2015 Patienten mit körperlichen Schmerzursachen behandelt, bei denen keine andere Therapie mehr wirkliche Linderung bringt.

Von den Schmerztherapeuten des Mutterhauses war Schmitt in die Sprechstunde der neurologischen Abteilung des Brüderkrankenhauses geschickt worden, nachdem seine Frau in einem Magazin etwas über eine Schmerzpumpe gelesen hatte. Als Oberarzt Dr. Gernot Surges ihm davon abriet, aber von der neuen HF 10-Methode erzählte, war er sofort bereit, das zu versuchen. "Schlimmer konnte es nicht werden", erinnert er sich. "Ob ich im Rollstuhl ende, war mir egal, ich wollte es wenigstens versuchen." Zwei Jahre später, nach der erfolgreichen Behandlung von 120 weiteren Patienten, gilt Schmitt für Gernot Surges und sein Team als der Vorzeigepatient.

"Schmerzen sind ein sehr komplexes Problem", sagt der erfahrene Neurochirurg. "Dafür ist in unserem Gesundheitssystem häufig nicht genug Zeit." Fast immer hätten seine Patienten bereits eine Odyssee von Behandlungen und Therapien hinter sich. Wie bei Harald Schmitt helfe am Ende nicht einmal Morphium, weil sich der Schmerz verselbstständigt habe.

Wenn die Nerven im Rückenmark so gereizt sind, dass sie unablässig Schmerzsignale an den Körper aussenden, kann die hochfrequente Rückenmarkstimulation helfen. Das hat sich mittlerweile bei 15 000 Patienten weltweit gezeigt. Bei etwa 87 Prozent von ihnen können die Schmerzen um mindestens die Hälfte, im Durchschnitt sogar um 80 Prozent reduziert werden.

Ein weiterer großer Vorteil der neuen Behandlungsmethode im Vergleich zu der seit den 80er Jahren erprobten, aber weitaus weniger erfolgreichen Rückenmarkstimulation mit niedrigen Frequenzen zeigt sich im Operationssaal: Da die beiden Elektroden immer an den gleichen Stellen im Wirbelkanal auf der Rückenmarkhaut positioniert werden, kann die Operation in Vollnarkose erfolgen. Der Patient muss nicht aktiv mitarbeiten, um eine optimale Position zu finden. Die Elektroden werden dann über ein Verlängerungskabel an ein externes Gerät angeschlossen, das die Impulse steuert.
Immer zum Operationsteam gehört auch deshalb in Trier der Techniker Tobias Damm von der Firma Nevro, die das neue Verfahren entwickelt und patentiert hat. Damm überprüft noch im OP-Saal, ob die Technik korrekt funktioniert. Danach betreut er die Patienten, stellt mit ihnen gemeinsam die optimale Stimulation ein und entscheidet mit den Ärzten, ob eine Woche nach dem ersten Eingriff der kleine und per Fernbedienung zu steuernde Taktgeber dauerhaft unter die Haut gelegt wird. Das geschieht dann, wenn der Schmerzschrittmacher Wirkung zeigt.

Da das sehr oft passiert, ist auch Chefarzt Professor Martin Bettag von der neuen Therapie überzeugt: "Endlich können wir Patienten helfen, die mit ihren Schmerzen hilflos sind." Dabei zeige sich auch die gute Zusammenarbeit zwischen dem Mutterhaus und dem Brüderkrankenhaus. "Ohne vorherige Schmerztherapie und ohne Begutachtung durch unabhängige Schmerztherapeuten operieren wir keine Patienten." Zudem zeige sich beim Schmerzschrittmacher die Bedeutung der Industrie als Partner für Kliniken. Bettag ist überzeugt, dass die relativ hohen Kosten von 30 000 Euro pro Eingriff und System aufgrund der geringeren Behandlungskosten in der Folge schnell ausgeglichen werden.

Harald Schmitt, der nach eigenen Angaben inzwischen häufig komplett schmerzfrei lebt, ist davon auch überzeugt: "Ich brauche nur noch ein Tausendstel Morphin im Vergleich zu früher. Mir geht es wieder gut."

Mit deutlich weniger Schmerzmittel kommt auch Gunilde Eisenbrand aus. Die 80-jährige ehemalige Ärztin aus Saarbrücken wurde vor einem Jahr operiert. Eine Verengung (Stenose) des Wirbelsäulenkanals war bei ihr Ursache für fast unerträgliche Schmerzen. "Wenn ich mich entsprechend verhalte, habe ich 80 Prozent weniger Schmerzen als vor der Operation", sagt die resolute Dame. "An manchen Tagen bin ich sogar schmerzfrei. Ich kann jetzt auch wieder mit meinem Enkel spielen."

Neurochirurg Gernot Surges freut sich über diese Erfolge. "Die Leute leben auf. Manchmal habe ich sogar Mühe, ihre Euphorie zu bremsen."Extra

Rückenmarkstimulation gegen Schmerzen

Die hochfrequente Rückenmark stimulation, auch HF 10-Therapie genannt, wird bei Patienten mit chronischen Schmerzen eingesetzt, denen sonst nicht mehr ausreichend geholfen werden kann. Dabei werden in den Wirbelkanal Elektroden eingesetzt, die elektrische Impulse mit 10 000 Hertz an das Rückenmark abgeben, um krankhafte Nervenaktivitäten zu verhindern. Die Patienten steuern dabei die Dosierung über eine Fernbedienung selbst.

In der Region bietet nur die Abteilung für Neurochirurgie im Brüderkrankenhaus Trier dieses neuartige Verfahren seit 2015 an. Bislang sind 120 Patienten so behandelt worden. Bei 87 Prozent dieser Patienten, die alle seit mehreren Jahren an starken chronischen Schmerzen litten, konnten die Beschwerden um mindestens 50 Prozent reduziert werden. Im Durchschnitt liegt die Schmerzreduktion bei 80 Prozent. Das entspricht auch den Ergebnissen internationaler Studien der Firma Nevro, die das Verfahren patentiert hat und eng mit dem Brüderkrankenhaus und den Patienten zusammenarbeitet. Die Elektroden werden bei allen Patienten an der gleichen Stelle platziert. Die HF 10-Therapie verursacht nach den bisherigen Erfahrungen in der Regel keine Nebenwirkungen. Die Patienten dürfen weiterhin Autofahren oder sonstige Maschinen führen. Zum Einsatz kommt der Schmerzschrittmacher zum Beispiel bei chronischen Rückenschmerzen, irreversiblen Nervenverletzungen infolge einer Leistenbruchoperation oder bei Patienten mit starken Durchblutungsstörungen.

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