Die SPD schaltet einen Gang nach oben

Am Tag nach dem politischen Paukenschlag des Franz Müntefering herrschte in Berlin fast schon wieder Alltag. Das Kabinett tagte "routinemäßig", wenn auch ohne den noch amtierenden Arbeitsminister.

Berlin. Nächsten Mittwoch scheidet Arbeitsminister Franz Müntefering offiziell aus dem Amt. Dann soll es auch im Kabinett feierlich zugehen - die illustre Riege plane "eine Überraschung", frohlockte gestern Regierungssprecher Thomas Steg. Momentan sind die Zeiten eben voller Überraschungen. Keine ist allerdings, dass die SPD nach dem Rücktritt Münteferings einen Gang nach oben schaltet: "Die Schonfrist" für Kanzlerin Merkel sei vorbei, droht Parteivize Andrea Nahles. In der Arbeitsmarktpolitik gebe es "massive ideologische Unterschiede", wettert Fraktionschef Peter Struck. Müntefering, der einflussreiche Stabilisator der Großen Koalition und enge Vertraute von Merkel, ist Geschichte. Jetzt beginnt der Wahlkampf. Nur: Ruppiger, als es in den vergangenen Wochen im Bündnis zuging, kann es nicht mehr werden. "Die SPD muss sich entscheiden, ob sie mitregieren oder in der Koalition Opposition machen will", schießt CDU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach zurück. Der große Koordinator auf der SPD-Seite soll nun Frank-Walter Steinmeier werden. Der Mann ist Außenminister, und da fangen die Schwierigkeiten schon an. "Kraftzentrum Vize-Kanzleramt"

Als es noch Koalitionen mit einem starken und einem kleinen Partner gab, war das kein Problem. Müntefering hat jedoch in der Großen Koalition aus der einstigen "Urlaubsvertretung Vizekanzler" ein fast gleichberechtigtes Kraftzentrum gegenüber der Kanzlerin gemacht. Ein eigener Stab "mit Planstellen" kümmerte sich um die Lenkung der SPD-Ministerien, um den "informellen Austausch". Vor jeder Kabinettssitzung frühstückten die SPD-Minister miteinander, danach traf sich Müntefering noch für eine halbe Stunde mit Merkel, um die Kabinettssitzung abzusprechen. Das alles soll nun der Weltenbummler Steinmeier übernehmen. In Sachen Vizekanzlerschaft ist das Auswärtige Amt zwar erprobt, die meisten Vizekanzler der jüngeren Geschichte waren auch oberste Diplomaten. Als früherer Kanzleramtschef hat Steinmeier zudem Erfahrung in der Koordinierung von Regierungshandeln. Doch für innenpolitisch dominierende Akzente wie Mindestlohn oder Rente mit 67, die Müntefering gesetzt hat, erscheint ein reisender Außenminister eher ungeeignet. "Wir werden nicht am Außenamt ein Schild anbringen: Vizekanzleramt", sagt ein Sprecher. In der SPD hört man das gerne: Steinmeier ist längst nicht so verwurzelt und vernetzt in der Partei wie Müntefering. Es heißt, das strategische Zentrum liege daher künftig wieder stärker in der Zentrale, dem Willy-Brandt-Haus. Das wiederum darf als Zeichen für das neue Selbstbewusstsein von SPD-Chef Kurt Beck verstanden werden: Seit dem Abgang von Müntefering ist er mächtig wie nie - und daran soll möglichst auch ein Vizekanzler Steinmeier nichts ändern.

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