"Die Schwachen müssen im Boot bleiben"

TRIER. Ökumene, Reformen, anti-semitische Äußerungen eines CDU-Politikers und die Pfarrgemeinderatswahlen - der Trierer Bischof Reinhard Marx hat sich im Redaktionsgespräch beim Trierischen Volksfreund zu aktuellen politischen und kirchlichen Themen geäußert.

Wie aktuell das Thema Ökumene ist, hat die Tagung der Evangelischen Synode in Trier wieder gezeigt. Welchen Stellenwert räumen Sie der intensiveren Zusammenarbeit von Katholiken und evangelischen Christen ein? Marx: Einen hohen Stellenwert. Ich habe ja bei der Synode gesagt: Zum ökumenischen Miteinander gibt es keine Alternative. Und ich habe das Bild nochmal aufgegriffen, das Kardinal Lehmann gebraucht hat: Wir sind auf der Bergwanderung schon weit nach oben gekommen, aber bis zur Spitze gibt es noch ein paar dicke Geröllsteine, die wir überwinden müssen.Auf einem guten Weg waren Sie ja auch beim Ökumenischen Kirchentag in Berlin, aber dann kam der Fall Hasenhüttl. Haben Sie mit der Suspendierung des Priesters nicht überreagiert und der Ökumene womöglich geschadet?Marx: Der Ökumene geschadet haben diejenigen, die sich nicht an Absprachen gehalten haben. Denn es war ja ein langer Weg bis zum Ökumenischen Kirchentag. Und es war wichtig, dass wir alle mitnehmen und nicht neue Spannungen und Spaltungen hervorrufen.Wie bewerten Sie die völlig konträren Reaktionen auf ihre Entscheidung? Marx: Dass viele nicht einverstanden sind und es andererseits viele für richtig halten, damit habe ich schon vorher gerechnet. Aber wir können Ökumene nicht voran bringen, wenn wir die Wege nicht gemeinsam gehen, sondern jeder seinen eigenen Weg sucht.Bei ihrer Entscheidung, Hasenhüttl zu suspendieren: Haben Sie sich vorher mit Rom oder anderen deutschen Bischöfen verständigt?Marx: Natürlich haben wir in Berlin schon darüber gesprochen mit Kardinal Sterzinsky und Kardinal Lehmann. Das sind keine einsamen Entscheidungen. Übrigens gab es keinerlei Bereitschaft bei Hasenhüttl einzulenken. Sondern die Sache wurde durch seine nachträglichen Interviews verschärft, und das hat dann erst zu der Reaktion geführt.Das Bistum Trier wartet seit einigen Monaten auf die Neubesetzung von zwei Weihbischofsstühlen. Wann rechnen Sie mit einer Entscheidung aus Rom? Marx: Bald.Heißt "bald" noch dieses Jahr? Marx: Das liegt ja nicht an mir, sondern an Rom. Der Papst ernennt die Bischöfe, nicht der Bischof. Darauf muss ich einfach warten.Aber Sie haben ja offenbar etwas läuten gehört aus Rom Marx: (überlegt länger, grinst) Ich warte.Die Pläne zur Umstrukturierung des Bistums sind ja schon fortgeschritten. Können Sie sagen, was sich konkret für die Gläubigen ändern wird? Marx: Wir merken natürlich: Je mehr Veränderungen anstehen, um so mehr Diskussionen gibt es. Im Moment wird vornehmlich über die Veränderung der Dekanatsgrenzen diskutiert. Wir werden die Zahl der Dekanate von 76 auf etwa die Hälfte reduzieren und die Regionen auflösen. Für die Gläubigen ändert sich dadurch nicht viel - eher für die Mitarbeiter, aber da sind wir in guten Gesprächen. Länger wird es dauern, die Zusammenarbeit der Pfarreien zu intensivieren. Erst müssen sich einmal die neu gewählten Pfarrgemeinderäte konstituieren und finden.Sind die Pfarrgemeinderäte jetzt nicht nur gewählt worden, um sich später selbst aufzulösen?Marx: Im Gegenteil. Sie sind ja weiter wichtig. Wir haben zwar in vielen Gemeinden mittlerweile Pfarreien-Räte, also Zusammenschlüsse von Pfarrgemeinderäten, aber das sind Entscheidungen, die vor Ort getroffen werden. Da kommen immer häufiger Anträge an den Bischof, wo Gremien zusammenarbeiten wollen. Das finde ich positiv. Erstmal bin ich froh, dass die Pfarrgemeinderatswahlen gut gelaufen sind. Die Wahlbeteiligung ist sogar etwas höher als vor vier Jahren, was auch deutlich macht, dass die Leute doch ihre Arbeit vor Ort für wichtig halten.Anfang 2004 soll in Oldenburg eine Kirche abgerissen werden. Sind derartige Maßnahmen auch im Bistum Trier vorstellbar? Marx: Vorstellbar ist vieles. Unsere Kirchen, die denkmalgeschützt sind, stehen nicht zur Debatte. Aber wir haben mittlerweile eine Veränderung des Wohnverhaltens in den Innenstädten und eine Veränderung des Kirchenbesuchs, so dass man nicht sagen kann, die Aufgabe einer Kirche ist ein Tabu. Ob man sie abreißt oder umnutzt, muss man sich aber im Einzelfall anschauen. Man kann nicht eine Kirche mit Millionen unterhalten, die nicht gebraucht wird. Das ist nicht zu verantworten.In Rheinland-Pfalz ist vergangene Woche ein "Friedwald" eröffnet worden, bei dem man sich unter einem Baum bestatten lassen kann. Die evangelische Kirche hat damit weniger Probleme, die katholische Kirche dagegen Marx: Das mit der Evangelischen Kirche stimmt nicht. Es gibt in der Evangelischen Kirche eine große Debatte darüber. Man muss sehen, dass hier eine Idee dahinter steckt, die mit dem christlichen Glauben nicht ohne weiteres zu vereinbaren ist. Unser Hauptpunkt als Katholische Kirche ist die Eucharistiefeier in der Kirche. Wir glauben, dass jemand persönlich aufersteht und mit Christus verbunden ist. Er geht nicht in den Baum ein, sondern in die Gemeinschaft mit Christus. Ich sehe nicht ein, dass wir uns da in eine Ideologie hineinziehen lassen, die in Esoterik endet. Wer so etwas glaubt, braucht dazu die Katholische Kirche nicht. Der kann sich ja vom Hümmel-Wald-Förster beerdigen lassen.Ein Thema, das die Menschen derzeit bewegt, ist die Reform-Debatte. Sind die angekündigten Einschnitte ein Schritt in die richtige Richtung? Marx: Entscheidungen müssen jetzt getroffen werden, weil wir mit dem Rücken zur Wand stehen. Deshalb brauchen wir etwa beim Thema Rente eine neue Systematik. Gleiches gilt für das Thema Gesundheit, wo die Kosten bei steigender Lebenserwartung explodieren. Und natürlich stoßen wir auch beim Thema Massenarbeitslosigkeit an Grenzen der Finanzierbarkeit.Stoßen wir denn nicht auch bei den Einschnitten an Grenzen?Marx: Natürlich müssen wir genau darauf achten, dass die Schwachen und Geringverdiener, also die wirklich Bedürftigen, nicht durchs Rost fallen. Also: Wir brauchen mehr Eigenverantwortung. Aber wir müssen auch sehen, dass die Schwachen mit im Boot bleiben.Ein anderes aktuelles Thema ist der Streit um die "Tätervolk"-Äußerungen des CDU-Rechtsauslegers Martin Hohmann. Wie bewerten Sie die Diskussion? Marx: Das war schon eine unsägliche Rede. Traurig, dass ein Abgeordneter so argumentiert.Hat die Christlich Demokratische Union richtig reagiert? Marx: Ich möchte nicht der CDU vorschreiben, wie sie zu reagieren hat. Die Äußerung Hohmanns war jedenfalls inakzeptabel. Die CDU muss schon deutlich machen, dass sie das ebenfalls inakzeptabel findet. Ich persönlich habe für den angekündigten Partei- und Fraktionsausschluss Verständnis. Papst Johannes Paul II. ist schwer krank und nicht mehr der Jüngste. Was sind die wichtigsten Anforderungen an seinen Nachfolger? Marx: Wenn man die vergangenen 25 Jahre anschaut, ist dieser Papst eine Besetzung, die man so schnell nicht wieder finden wird. Johannes Paul II. hat fast alle Dinge, die von einem großen Papst erwartet werden: charismatische Führung, theologische Kompetenz, Spiritualität, Medienpräsenz - schwer vorstellbar, wie ein Nachfolger das noch toppen sollte.Immer mehr Ehen werden geschieden. Wie ist Ihre Meinung zum Thema kirchliche Hochzeit von Geschiedenen? Marx: Das ist eine schwierige theologische Frage. Die Katholische Kirche fühlt sich an das Wort Jesu gebunden, der gesagt hat: Was Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen. Und eine kirchliche Ehe kann somit nicht einfach wiederholt werden.Herr Bischof, plaudern Sie doch zum Abschluss noch ein wenig aus dem Nähkästchen. Was gefällt Ihnen nach anderthalb Jahren in Trier, was weniger? Marx: Ich leugne nicht, dass manchmal etwas Heimweh aufkommt. Meine Freunde, meine Familie, meine Verwandten wohnen nun einmal sehr weit weg. Aber wenn ich die anderthalb Jahre bilanziere, bin ich schon mit ganzem Herzen hier angekommen und habe viel Zuneigung erfahren: Ich bin tausenden, ja zehntausenden Menschen in dieser Zeit begegnet, eine unvergleichliche Erfahrung. Vor allem, wenn man spürt: Die Leute freuen sich darauf, mit dem Bischof zusammen zu kommen. Das ist unglaublich.Mit Bischof Reinhard Marx sprachen die TV-Redakteure Michael Schmitz und Rolf Seydewitz.

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