Die Seuche ist da

BERLIN. Die Vogelgrippe hat jetzt auch Deutschland erreicht. Nach Krisensitzungen in Berlin warnen Politiker und Experten vor Panik.

Landwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU) erfuhr von den Ereignissen auf Rügen am Dienstagabend gegen 19 Uhr. Sofort beriet er sich mit den Experten seines Hauses. Die ersten Eilmeldungen der Nachrichtenagenturen liefen um kurz nach 21 Uhr über die Ticker: "In Deutschland gibt es nach Angaben des Bundesagrarministeriums den ersten Verdachtsfall auf Vogelgrippe bei Tieren." Ein schlichter Satz, der aber eine dramatische Botschaft enthält: Die Seuche ist da.Belegt wird dies durch tote Schwäne auf der Ostseeinsel, die mit dem auch für Menschen gefährlichen Erreger H5N1 infiziert gewesen sind. Am Tag danach war das politische Berlin in heller Aufregung. Eine Krisensitzung jagte die andere: Im Kabinett gerieten der Kampf gegen die Vogelgrippe und weitere Schutzmaßnahmen unversehens zum Tagesordnungspunkt. Der Agrarausschuss debattierte gleich frühmorgens mit Experten aus den Ländern und der EU kurzerhand öffentlich über "die aktuellen Entwicklungen bei der Geflügelpest". Mit möglichst viel Transparenz nach außen wollte man beruhigend wirken, und am frühen Nachmittag kam dann Minister Horst Seehofer, der heute eine Regierungserklärung zur Vogelgrippe abgeben will, mit dem eiligst einberufenen nationalen Tierseuchenkrisenstab zusammen, bestehend aus den zuständigen Landesministern und Vertretern der Bundesinstitute und Verbände.

Die Gefahren einer möglichen Grippe-Pandemie, die Folgen und ihre Bekämpfung im Blick, nahm an dem Treffen auch Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) teil. "Wenn Menschen keinen direkten Kontakt zu erkrankten Tieren haben, dann gibt es auch keine Übertragung", erläuterte sie. Ein erhöhtes Risiko besteht erst dann, wenn der Erreger die Fähigkeit erlangt, sich effizient von Mensch zu Mensch auszubreiten, hieß es unisono seitens der Experten. Es dürfe jetzt aber keine Panik verbreitet werden, lautete die Marschrichtung von Politik und Fachleuten.

Für Verbraucher "ist überhaupt kein Gefährdungspotenzial" zu erkennen, versicherte daher Reinhard Kurth, Leiter des über Infektionskrankheiten forschenden Robert-Koch-Instituts in Berlin. Es sei weiterhin "absolut ungefährlich", Geflügel zu essen, da die Nutztierbestände "virusfrei" seien.

Wie kommt das Virus nach Rügen?

Wirklich beruhigen kann das aber nicht. Denn die bisherigen Maßnahmen - Stallpflicht, Verbot von Geflügelmärkten und das Wild-Monitoring - haben das Vordringen der Vogelgrippe nach Deutschland nicht verhindert, sondern die Ausbreitung vermutlich nur verzögert.

Und viele Fragen sind trotz der zahlreichen Expertenrunden gestern noch offen geblieben: Wie kommt das Virus ausgerechnet nach Rügen? Wo haben sich die Schwäne und ein Habicht mit dem Erreger infiziert, wenn die Ansteckung nicht auf Vogelzug zurückzuführen ist, wie Experten sagen? Reicht die Stallpflicht, um das Überspringen des Virus' von Wildvögeln auf Nutztiere wirklich zu verhindern? Nicht jede Tierart kann weggesperrt werden, es gibt Ausnahmegenehmigungen. "Mit ein bisschen Glück und der Stallpflicht können wir diese Tierkrankheit vermeiden", befand Experte Kurth trotzdem.

Noch etwas beschäftigte die Politik: Klappt die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern beim Kampf gegen die Seuche? Die Grünen sahen gestern Koordinierungsschwierigkeiten, was sowohl Landwirtschafts- als auch Gesundheitsministerium verneinten. Die Vorsitzende des Agrarausschusses, Bärbel Höhn (Grüne), warnte zudem, die Länder seien kaum darauf vorbereitet, womöglich Millionen Tiere zu töten, sollte sich der Erreger weiter verbreiten. "Die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus in einem Hühnerstall landet, ist jetzt erheblich gewachsen", kommentierte Höhn gegenüber unserer Zeitung die Lage. So lange der Erreger unentdeckt bleibe, müsse nur "jemand in Vogelkot treten und das Virus dadurch in den Hühnerstall tragen". Anlass zur Panik bestehe nicht, wohl aber "zu erhöhter Wachsamkeit und Vorsicht", beschwichtigte Minister Seehofer nach dem dreistündigen Treffen des nationalen Krisenstabs. Die Lage sei dennoch "sehr ernst", und das Risiko der Ausbreitung der Vogelgrippe könne nicht "auf null" zurückgefahren werden. Auch bestehe eine besondere Gefahr durch die Einführung von Geflügelprodukten aus Befallsgebieten, weshalb Seehofer sich beim anstehenden Treffen der EU-Agrarminister vehement für eine Deklarationspflicht bei Einreisen in die Union einsetzen will. Gesundheitsministerin Schmidt mahnte, "dass alle in unserem Land vorsichtig sind, wenn sie kranke oder tote Tiere sehen". Kurzum: anfassen verboten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort