"Die USA haben nicht viele Freunde"

HAMBURG. US-Präsident George W. Bush und seine Leute sehen die Welt viel zu simpel - davon ist der Hamburger Politikwissenschaftler August Pradetto überzeugt. Warum sie sich dennoch durchsetzen konnten, welche Rolle Uno, Nato und EU in der US-Strategie spielen und warum er an eine Korrektur des US-Kurses glaubt, erklärt Pradetto im TV -Interview.

Sie haben die US-Außenpolitik in den vergangenen Monaten immer wieder attackiert. Was genau haben Sie auszusetzen? Pradetto: Die Bush-Administration teilt die Welt in weiß und schwarz ein. Die USA repräsentieren das Gute, und das Böse wird personifiziert und dämonisiert - Bin Laden und Saddam Hussein werden zu Hitlern des 21. Jahrhunderts erklärt. Alle Probleme in der arabischen Welt werden im wesentlichen darauf zurück geführt, dass es keine Demokratie gebe. Aber die Realität sieht anders aus: Wenn es Demokratie gäbe, würde in vielen dieser Länder noch eine erheblich größere Amerika-Feinschaft vorherrschen. Gleichwohl ist mangelnde Demokratie selbstverständlich ein Teil der Problematik und ein Ausdruck der Probleme, die sonst noch in diesen Regionen existieren - vom ungebremsten demographischen Wachstum bis zum Gefühl von Ungerechtigkeit und Demütigung. Wie konnten sich die Vereinigten Staaten mit einer so simplen Weltanschauung durchsetzen? Pradetto: Die USA haben die militärische Macht, solche Vorstellungen in Teilen der Welt umzusetzen. Dadurch wiederum entsteht politische Macht. Die USA bestimmen Prioritäten, die dann in der Diskussion über internationale Politik eine Rolle spielen. Es ist schwer, sich US-Forderungen zu entziehen. Und wer die USA dennoch kritisiert, dem wird fehlende Loyalität vorgeworfen - wie Frankreich und Deutschland wegen ihrer kritischen Haltung zum Irak-Krieg. Pradetto: Die Frage, die zuerst beantwortet werden muss, wenn es um politische Entscheidungen geht, ist nicht die Frage der Loyalität, sondern die, ob etwas richtig oder falsch ist. Wenn keine Massenvernichtungswaffen in den Händen von Saddam Hussein vor dem Krieg nachgewiesen werden können, dann ist es völkerrechtlich und politisch falsch, einen Krieg gegen dieses Land zu führen. Die Loyalität zu einem Freund hat ihre Grenzen. Ist die eigensinnige Haltung der USA eine Folge der Tatsache, dass sie die einzig verbliebene Weltmacht sind? Pradetto: Politik wird von Menschen gemacht. Es gibt keinen strukturellen Imperialismus. In den acht Jahren unter Bill Clinton sah die Politik ja auch anders aus. Nimmt man die europäischen Verbündeten in Washington noch ernst, oder sind sie längst zu Handlangern degradiert worden? Pradetto: Die Bush-Administration hat, im Gegensatz zu früheren amerikanischen Regierungen, eine sehr beschränkte Sicht, was die Bedeutung ihrer Verbündeten in Europa betrifft. Sie betrachtet sie vor allem als Instrumente zur Verwirklichung der US-Ziele. Doch die USA haben nicht sehr viele Freunde in der Welt, und wenn jemand ihnen in Loyalität verbunden ist, dann sind es vor allem die Europäer. Dessen wird man sich jetzt in der Bush-Administration zunehmend bewusst und bemüht sich wieder um ein erträgliches und verträgliches Verhältnis mit den europäischen Partnern. Und die Nato - welche Rolle spielt sie in den Plänen der US-Führung? Pradetto: Die Nato hat zum gegenwärtigen Zeitpunkt ebenfalls eher einen instrumentellen Charakter in der Bewertung Washingtons. Ihr hat man in aller Eindeutigkeit gesagt, dass sie sich entweder in Richtung amerikanische Wünsche - das heißt internationale Interventionsmacht unter Führung der USA - transformiert, oder dass sie irrelevant werde. Die Bush-Administration hat gegenüber der Nato eine ganz ähnliche Haltung eingenommen wie gegenüber den Vereinten Nationen. Aber auch das beginnt sich derzeit aus den genannten Gründen zu ändern. Wie wichtig ist denn die Nato nach dem Kalten Krieg Ihrer Ansicht nach überhaupt noch? Pradetto: Die Nato ist ein Sicherheitsbündnis für alle Mitglieder - kein Staat der Welt wagt es aufgrund der Stärke der Nato, einen dieser Staaten anzugreifen. Außerdem ist sie ein Sicherheitsbündnis nach innen. Zum ersten Mal in der Geschichte gibt es unter den militärisch wichtigsten Staaten der Welt eine Partnerschaft, so dass sich diese Staaten nicht feindlich gegenüberstehen. Und schließlich ist die Nato ein wichtiger Faktor, um weitere Staaten in Europa und an der Peripherie Europas in einen solchen Sicherheitsverbund zu integrieren. Wie kann die Europäische Union dem Kontinent zu mehr außenpolitischem Gewicht verhelfen? Pradetto: Die EU muss für die europäische Sicherheit verantwortlich werden. Man kann die eigenen Sicherheitsprobleme, die man etwa auf dem Balkan und an den Rändern Europas hat, nicht externen Akteuren überlassen. Dazu war man teilweise aufgrund der Stärke der Sowjetunion und des Warschauer Pakts früher gezwungen. Jetzt ist die Situation erheblich günstiger. Die Europäer müssen selbst verantwortlich sein und dürfen nicht von äußeren Faktoren abhängig sein - etwa von Entscheidungen, die im Weißen Haus getroffen werden. Oft heißt es, die europäischen Staaten müssten kräftig aufrüsten, damit die militärische Lücke zu den USA nicht noch größer werde. Was halten Sie davon? Pradetto: Wenn die Europäer sich darauf verständigen, ihre militärischen Kapazitäten zusammenzulegen, haben sie überhaupt kein Problem, militärisch gegenüber anderen Teilen der Welt zu bestehen. Die Europäer haben nicht zu wenig Militär, sondern die USA haben zu viel. Und es hat sich gezeigt, dass mit diesem ungeheuren Budget der Terrorismus nicht besiegt werden kann. Der 11. September 2001 ist trotz dieser ungeheuren militärischen Ausgaben passiert, und solche Gefahren bestehen weiterhin. Abgesehen davon sind die Hauptprobleme der Sicherheit in Europa nicht externe Bedrohungen, sondern ökonomische Ungleichgewichte, soziale Verwerfungen, ethnische und staatsrechtliche Probleme. Militärische Kapazitäten stellen nur einen kleinen Teil jener Problemlösungs-Optionen dar, über die wir verfügen müssen, um Europa sicher zu machen. Wie wird sich die US-Außenpolitik weiter entwickeln? Wagen Sie eine Prognose? Pradetto: Selbst wenn die Bush-Administration nach den Präsidentschaftswahlen 2004 an der Macht bleibt - ihre Außenpolitik wird sich mit Sicherheit ändern. Denn diese Art der Außenpolitik hat den USA innerhalb kürzester Zeit massive Nachteile gebracht. Die weltweite Solidarisierung mit den USA nach dem 11. September 2001 war innerhalb eines Jahres verspielt. Und das Terrorismus-Problem für die USA hat sich durch ihr Vorgehen in Afghanistan und Irak vergrößert. Viele US-Bürger verleugnen im Ausland ihre Identität, weil sie einer so massiven Gefährdung ausgesetzt sind. Diese Auswirkungen haben Rückwirkungen auf die US-Außenpolitik und werden eine Korrektur einleiten. Mit August Pradetto sprach TV-Redakteurin Inge Kreutz.

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