Die Union bittet zur Kasse

BERLIN. Es war wohl eine der schwierigsten Verhandlungen zwischen CDU und CSU der vergangenen Jahre: Gestern haben sich die Unionsparteien auf ein Alternativkonzept zur rot-grünen Gesundheitsreform geeinigt.

Die Industrie-Lobby in der CDU ist stinksauer: "Der Wirtschaftsrat kritisiert das Meinungsdesaster in der Union", schimpfte der Vorsitzende der Organisation, Kurt Lauk,gestern in Berlin. Der Ausbruch galt dem eigenen Fraktionsvize Horst Seehofer. Der stellvertretende Vorsitzende der Schwesterpartei CSU und Ex-Bundesgesundheitsminister hatte die Schlachtordnung der Union gehörig durcheinander gewirbelt, als er öffentlich eine "Privatisierungsorgie" in den Reformvorstellungen der CDU zur Krankenversicherung beklagte. Nicht nur, dass er eine Bürgerversicherung vorschlug, die bislang vor allem von den Grünen verfochten wird. Auch einer geplanten Extraversicherung zahnmedizinischer Leistungen erteilte Seehofer eine klare Absage. Begründung: Sie belaste die sozial Schwachen.Zwischen den Parteizentralen in Berlin und München glühten am Montag die Telefondrähte. Denn morgen will der Bundestag in erster Lesung über den Regierungsentwurf zur Gesundheitsrefom beraten. Eine Opposition, die dabei mit gespaltener Zunge spricht, macht sich schlicht lächerlich.Private Versicherung für Zahnersatz

Seehofer kann gleichwohl einen Teilerfolg verbuchen. Nach dem eilends ausgehandelten Kompromiss zwischen den Parteivorsitzenden Angela Merkel und Edmund Stoiber soll nur noch der Zahnersatz aus der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausgegliedert werden und nicht, wie von der CDU gefordert, die komplette Zahnbehandlung. Letzteres würde die GKV um etwa zehn Milliarden Euro pro Jahr entlasten.Damit ließe sich der Beitrag um einen ganzen Prozentpunkt senken. Der Zahnersatz allein schlägt mit rund 3,6 Milliarden Euro zu Buche. Das wären 0,4 Beitragspunkte. Nach dem rot-grünen Entwurf soll dagegen das Krankengeld nur noch durch die Arbeitnehmer finanziert werden. Damit könnte die GKV 7,5 Milliarden Euro sparen.Der CDU-Sozialexperte Andreas Storm, ein Gegenspieler Seehofers, sieht in dem Kompromiss dennoch einen "großen Vorteil": Mit der privaten Versicherung, die monatlich 7,50 Euro kosten soll, hätten die Patienten auch Anspruch auf hochwertige Implantate aus Gold oder Keramik. Mit der Bürgerversicherung, bei der auch Selbständige und Beamte in der AOK oder Barmer sein müssten, biss Seehofer allerdings auf Granit: "Die ist eindeutig vom Tisch", sagte Storm dem TV .Der Streit schwelt weiter

Das Chaos in der Union war natürlich ein gefundenes Fressen für Gesundheitsministerin Ulla Schmidt. Dort gebe es wohl "im Moment Schwierigkeiten", lästerte die SPD-Politikerin. Zugleich meldete sie Bedenken an den Plänen der C-Parteien an. So sei die vorgeschlagene Zuzahlungspauschale für Medikamente, Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte in Höhe von zehn Prozent "der falsche Weg, weil damit keine Lenkungswirkung verbunden ist". Die Ministerin möchte Patienten nur dann verstärkt zur Kasse bitten, wenn sie gleich zum Fachmediziner gehen anstatt zunächst den Hausarzt aufzusuchen.Ebenso wie die Koalition will aber auch die Union die Zuzahlungen auf maximal zwei Prozent des jährlichen Bruttoeinkommens begrenzen. Nach Angaben Storms soll das Konzept kurzfristig mindestens zehn Milliarden Euro sparen. Bis zu sieben Milliarden Euro erwartet man sich allein von den steigenden Zuzahlungen. Durch die Selbstbehalte bei Medikamenten oder Krankenhausaufenthalten werden die Kassen derzeit um etwa 1,7 Milliarden Euro pro Jahr entlastet. Horst Seehofer will sich derweil nicht geschlagen geben. Zur Ausgliederung des Zahnersatzes sagte er weiter "No". SPD und Grüne dürften sich ins Fäustchen lachen .

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