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WASHINGTON. Noch keine Bomben, aber tonnenweise Papier: Zwei Millionen Flugblätter, resümierte ein Pentagon-Sprecher, hätten amerikanische und britische Flugzeuge in den letzten 24 Stunden über dem Irak abgeworfen. Ihr Inhalt: Die Aufforderung an die Zivilbevölkerung, ruhig zu bleiben - und an irakische Soldaten, Widerstand gegen die bevorstehende Invasion aufzugeben.

Die schon seit Tagen anhaltende Propaganda-Offensive, ergänzt durch Radiosendungen in arabischer Sprache, beruht auf der Kernüberlegung Washingtons: Krieg kann in den Augen der Weltöffentlichkeit nur gewonnen werden, wenn bei den Kampfhandlungen so wenig Zivilisten und so wenig feindliche Soldaten wie möglich getötet werden - eine völlige Umkehr historischer und teilweise höchst umstrittener Militärstrategien, die mit den Atombombenabwürfen auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki sowie den "Einäscherungs-Angriffen" alliierter Bomber auf Dresden, Hamburg und Berlin während der Zweiten Weltkriegs ihre Eskalationsspitze erreicht hatten. Ein Krieg gegen den Irak, das ist dem Weißen Haus bewusst, wird diesmal angesichts von über 500 Reportern und Kameramännern an der Front von mehr Menschen auf der Welt verfolgt werden als jeder andere Krieg zuvor. Furcht vor internationalem Aufschrei

"Eine hohe Zahl ziviler Verluste könnte deshalb für einen internationalen Aufschrei sorgen, dass der Krieg noch vor Erreichen der politischen Ziele beendet werden muss", so die Analyse von William Arkin, der im Auftrag der Menschenrechts-Organisation Human Rights Watch die Todesziffern bei vergangenen Militäraktionen analysierte. Noch heute wird der US-Militärführung vorgehalten, beim ersten Golfkrieg 1991 über 400 Zivilisten in einem unter einer irakischen Militär-Befehlszentrale befindlichen Bunker getötet zu haben. Auch sind die Bilder vom "Highway des Todes" noch in Erinnerung, auf dem beim Rückzug aus Kuwait tausende irakischer Soldaten durch eine massive Bombenkampagne getötet wurden. Während moderne Waffen-Technologie und der Einsatz so genannter "intelligenter" Bomben die Todeszahlen unter der Zivilbevölkerung während der Kämpfe in Afghanistan bereits deutlich reduziert hatten, so hat diese Entwicklung gleichzeitig auch die Erwartungshaltung in der Öffentlichkeit verändert. Die ohnehin nur knappe Mehrheit unter den US-Bürgern, die einen Irak-Krieg unterstützt, würde um bis zu 20 Prozent sinken, falls die Invasion eine hohe Zahl an Opfern fordert, ergab jetzt eine Umfrage der "New York Times" und des Fernsehsenders CBS. Konfrontiert mit dieser Aussicht, hat das Verteidigungsministerium nach eigenen Angaben "jede nur mögliche Maßnahme" zur Verhinderung ziviler Verluste getroffen. Die massiven Luftangriffe zu Beginn der Invasion - rund 3000 Ziele sollen in den ersten 24 Stunden anvisiert werden - soll sich nicht gegen für die öffentliche Infrastruktur wichtige Bauten richten. Bei der Planung für Bombenabwürfe habe man auf ausdrücklichen Wunsch des Weißen Hauses jene militärischen Ziele ausgeklammert, die sich in unmittelbarer Nähe von Schulen, Hospitälern und Moscheen befinden. Eine politische Strategie, die in US-Militärkreisen nicht ohne Widerspruch geblieben ist. Doch spätestens seit dem Vietnam-Krieg habe ein grundsätzliches Umdenken in der Militärführung stattgefunden, bestätigt der US-Militärhistoriker Benjamin Lambeth. "In Vietnam hat man es noch hingenommen, dass Bomben ebenso häufig das Ziel verfehlen, wie sie es treffen. " Die große Unbekannte in der Gesamtstrategie ist jedoch die Frage, ob Saddam Hussein in großem Umfang Zivilisten als "Schutzschilde" einsetzt. "Selbst dies wird amerikanische Truppen nicht von der Verantwortung entbinden, diese Zivilisten zu schonen", sagt Menschenrechts-Experte Tom Malinowski, "es wäre zu einfach zu sagen: Es ist alles nur Saddams Schuld."

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