Die ersten gehen von der Fahne

BERLIN. Die Union steckt in Sachen eigene Haltung zum Irak-Krieg mal wieder in der Klemme. Die Vorsitzende Angela Merkel übt sich in Ausweichmanövern.

Angela Merkels Reaktion auf die Frage, ob die Entscheidung für den Irak-Krieg richtig oder falsch gewesen sei, fiel gestern so aus: "Um es auf den Punkt zu bringen", meinte die CDU-Vorsitzende, "es war falsch, dass die westliche Gemeinschaft keine gemeinsame Haltung gefunden hat." Ja oder nein, auf dieses verbale Spielchen wollte sich die Ostdeutsche also nach den Gremiensitzungen ihrer Partei partout nicht einlassen. Dennoch: Ja oder nein, dafür oder dagegen, sieben Wochen vor der Europawahl findet sich die Union mit Blick auf den Krieg und seine Folgen plötzlich genau in der Klemme wieder, in der sie schon vor anderthalb Jahren steckte. Und ihr Führungspersonal drückt sich erneut um glasklare Antworten. Rückblick: Zielstrebig hatte Merkel die Union nach der verlorenen Bundestagswahl 2002 auf Zustimmung zum amerikanischen Kriegskurs getrimmt - trotz erheblicher Bedenken in den eigenen Reihen und gegen den Willen der Mehrheit in der Bevölkerung. Die Ostdeutsche reiste sogar in die USA, um sich dort erstmalig außenpolitisch zu profilieren und als Gegenpart zum Kriegsgegner Gerhard Schröder zu präsentieren. Man stehe fest an der Seite der Bush-Regierung, war damals die loyale Botschaft an den Verbündeten jenseits des großen Teichs. Jetzt, wo die "Koalition der Willigen" bröckelt, vergeblich nach Massenvernichtungswaffen im Irak gesucht wird und täglich Menschen im Nachkriegschaos sterben müssen, wächst auch in der Union das Unbehagen über den pro-amerikanischen und vor allem kritiklosen Kurs der Vorsitzenden. Offiziell heißt es: "Es gibt keinen Grund, etwas zurückzunehmen oder zu korrigieren", so ein Präsidiumsmitglied gegenüber unserer Zeitung. Aber innerhalb der C-Parteien ist die Sorge groß, dass die SPD im beginnenden Europawahlkampf die Auseinandersetzung von 2002 aufwärmen könnte, als Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) in der Kriegsfrage heftig lavierte, während Amtsinhaber Schröder der Supermacht USA ein "Mit mir nicht!" entgegen schleuderte - und siegte. Gestern stellte Parteichef Müntefering bereits ein SPD-Plakat vor, auf dem in großen Buchstaben "Friedensmacht" zu lesen ist. "Müntes" erster Stich in die offene Wunde der Opposition. Abrücken will Merkel von ihrer absolut pro-amerikanischen Haltung nicht, weil sie bislang ihre Autorität in dieser Frage noch nicht gefährdet sieht."Arrogantes Verhalten", "schwer wiegende Fehler"

Die USA könnten niemals alle Probleme alleine lösen, sie wolle "ein Europa mit Einfluss, das etwas bewegt", schlingerte die Vorsitzende deshalb gestern einmal mehr um eine klare Aussage herum. Unüberhörbar sind inzwischen allerdings auch andere Töne - und ausgerechnet der Präsidentschaftskandidat von Union und FDP, Horst Köhler, brachte den(Irak-)Stein, der Merkel nun wieder in Erklärungsnot bringt, kräftig ins Rollen. Nach undementierten Berichten warf er letzte Woche vor Landtagsabgeordneten in Düsseldorf den USA "arrogantes Verhalten" und "schwer wiegende Fehler" vor. Den Amerikanern sei "die Macht zu Kopf gestiegen" - klare Worte des Anwärters für das Schloss Bellevue, die er gestern allerdings relativierte. Aber auch andere Unionspolitiker versuchen inzwischen, dass Feld zentimeterweise neu zu bestellen. So meinte kürzlich Präsidiumsmitglied Jörg Schönbohm, die Kriegsentscheidung sei "rückblickend falsch" gewesen. Und Außenexperte Friedbert Pflüger tritt ebenfalls den geordneten Rückzug an - der Amerika-Verteidiger von einst kämpft dabei aber mehr um seinen eigenen Ruf. Merkel jedenfalls blieb gestern eisern und vor allem ausweichend: Von wegen "Tabubruch Anti-Amerikanismus" in der Union, sie sei sich mit Köhler einig, so der schwammige Kommentar der Vorsitzenden zu den Äußerungen ihres Kandidaten, dass "die Weltgemeinschaft zu einer gemeinsamen Haltung" in der Irak-Frage gebracht werden müsse. Wer nichts sagen will, sagt es halt so.

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