Die gebrochene Seele leidet weiter

Trier · Die Staatsanwaltschaft hält ihn für einen gefühllosen Sadisten: Ein 32-jähriger Vater soll sein ein paar Tage altes Baby fast zu Tode gequält haben. Gestern begann vor dem Trierer Landgericht der Prozess gegen ihn.

Staatsanwältin Daniela Gregarek muss einiges gewöhnt sein. Routiniert und emotionslos liest sie zehn Minuten lang vor, wie die kleine Anne-Line gequält worden ist. Es müssen schlimme Qualen und Schmerzen gewesen sein, die das gerade erst ein paar Tage alte Baby hat erleiden müssen. Es ist eine Aneinandereihung von kaum vorstellbaren Grausamkeiten, die Gregarek vorliest. Die Zehen des Babys sollen gequetscht worden sein, die Brust des noch nicht einmal zehn Tage alten Mädchens soll derart heftig eingedrückt worden sein, dass vier Rippen brachen. Mit Gewalt soll an Armen und Beinen gezogen worden sein, die Gliedmaßen sollen nach hinten gebogen worden sein, bis die Knochen brachen. Wenn die weiteren Schilderungen der Anklägerin zutreffen, dann wurde der Kopf auf eine feste Unterlage aufgeschlagen, und als das Baby, das kein Schreikind gewesen sein soll, spät abends in seiner Wiege aufwachte und weinte, da soll ihm sein Vater 55 Grad heiße Milch eingeflößt und über das Köpfchen gegossen haben. Einen Monat lang, bis Anfang Juli vergangenen Jahres, ging das Martyrium, bis die Mutter mit dem Kind ins Krankenhaus fuhr, wo die Ärzte tagelang um das Leben der kleinen Anne-Line kämpften. Staatsanwältin Gregarek ist überzeugt, dass der Vater seine Tochter gequält hat. Sie wirft dem 32-Jährigen, der regungslos, mit gesenktem Kopf, die Verlesung der Anklage verfolgt, vor, ein gefühlloser Sadist zu sein. Es sei ihm egal gewesen, ob sein Kind stirbt. Es hat fast ein Jahr gedauert, bis die Ermittlungen abgeschlossen waren und bis für die rechtsmedizinische Gutachterin zweifellos feststand, dass der Vater das Kind derart misshandelt haben könnte. Seit April sitzt der 32-Jährige in Untersuchungshaft. Gegen die Mutter des Kindes, mit der er nicht verheiratet ist, wird noch ermittelt. Die Verletzungen des mittlerweile eineinhalbjährigen Mädchens seien verheilt, sagt ein Mitarbeiter des zuständigen Jugendamtes des Kreises Bernkastel- Wittlich. „Die körperlichen Verletzungen“, fügt er hinzu. Ob und wie das Mädchen mit den erlittenen Qualen seelisch fertig werde, das könne man jetzt noch nicht sagen. Der 32-Jährige, der im nordrhein- westfälischen Hilden geboren worden ist, schweigt am ersten Prozesstag. Der psychologische Gutachter, der beurteilen soll, ob der Mann schuldfähig ist, fehlt ebenso wie die Gerichtsmedizinerin, die die Verletzungen des Babys untersucht hat. Daher wird die Vernehmung des Mannes auf den nächsten Prozesstag in drei Wochen verschoben. Sein Verteidiger, der Trierer Anwalt Andreas Hackethal, kündigt an, dass sich der 32-Jährige dann äußern wird. Unklar bleibt, ob Hackethal damit ein Geständnis meint. Bei den polizeilichen Vernehmungen hat Anne-Lines Vater bislang die Vorwürfe nur teilweise eingeräumt. Anwalt Hackethal rechnet mit einem langwierigen Prozess.

Der Prozess wird am Mittwoch, 28. Oktober, 9 Uhr, vor dem Landgericht fortgesetzt.
MEINUNG


Frühwarnsystem funktioniert

Von unserem Redakteur Bernd Wientjes

Als Vater ist man fassungslos. Wie kann ein Mensch einem Kind so etwas antun, es fast zu Tode quälen? Auch wenn die Schuld des seit gestern auf der Anklagebank sitzenden Vaters von der Mosel nicht bewiesen ist, steht außer Zweifel, dass das nun eineinhalbjährige Mädchen von jemandem grausam misshandelt worden ist. Überlebt hat Anne-Line nur deswegen, weil das Frühwarnsystem für Kindesmisshandlungen funktioniert hat. Erzieher, Lehrer, Ärzte und Bürger sind durch immer wieder Schlagzeilen machende Fälle sensibilisiert. Beim geringsten Verdacht schalten sie Polizei und Jugendamt ein. Auch dort hat man in den vergangenen Jahren hinzugelernt. Wenn es um das Wohl des Kindes geht, wird in der Regel sofort gehandelt. Die Behörden greifen schneller durch, auch wenn sie dadurch manchmal in die Kritik geraten, voreilig zu handeln. Reagieren sie jedoch nicht, riskieren sie das Leben des Kindes.

b.wientjes@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort