Die gefühlte Benachteiligung

TRIER. Immer wieder beschweren sich Kassenpatienten darüber, dass Privatversicherte bevorzugt würden. Die Ärzte weisen das von sich. Was steckt hinter den Vorwürfen?

Wer als gesetzlich Versicherter eine private Zusatzversicherung hat, ist besser dran. Er wird beim Arzt wie ein Privat-Patient behandelt, Leistungen, für die er normalerweise bezahlen müsste, werden von der Extra-Versicherung übernommen. Oder im Krankenhaus. Hat man den Chefarzt-Tarif gewählt, bekommt man nicht nur den Stationsleiter täglich zu sehen, man erhält auch mehr als die Standard-Behandlung. Außerdem bekommt man eine Rechnung, sieht, was ein Arzt für eine Behandlung verlangen darf - mehr jedenfalls als bei einem nur gesetzlich Versicherten. Insgesamt 1,9 Milliarden Euro nehmen die deutschen Klinik-Ärzte, die Privat-Rechnungen stellen dürfen, durch die Wahlarztbehandlung ein. Statt des normalen Satzes dürfen sie bis zu drei Mal so viel für eine Behandlung verlangen - genau wie bei Privat-Patienten. Festgelegt sind die Vergütungen in der ärztlichen Gebührenordnung. Vier Milliarden Euro von den Privaten

Auch die niedergelassenen Ärzte verdienen an den Privaten nicht schlecht. Knapp vier Milliarden Euro erhalten sie jährlich von den privaten Krankenversicherern. Ohne diese Einnahmen sei eine Praxis kaum noch überlebensfähig, heißt es bei den Ärzten. Sie betrachten das Geld der Privaten als Mischfinanzierung. Die Vergütungen der gesetzlichen Krankenkassen seien nicht leistungsgerecht. Für Kassen-Patienten gibt es feste Budgets, die von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) an die niedergelassenen Mediziner verteilt werden. Ist das Budget erschöpft, gibt es kein Geld mehr für weitere Behandlungen. Daher kann es im Einzelfall schon vorkommen, dass ein Arzt einen Privat-Patienten bevorzugt, auch wenn das KV-Chef Karl-Heinz Müller als "absolute Ausnahme" betrachtet. Die Patienten sehen das aber anders. 35 Prozent der Mitglieder einer gesetzlichen Versicherung sind zufrieden mit der Gesundheitsversorgung. Das kam bei einer Studie der Bertelsmann-Stiftung heraus. Auch die gestern von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) vorab verbreiteten Ergebnisse einer in Auftrag gegebenen Umfrage bestätigen, dass zumindest in den Köpfen der Patienten eine Zwei-Klassen-Medizin existiert. Weit über 40 Prozent der gesetzlichen Versicherten müssten nicht auf einen Arzttermin warten, wird versichert. Anders herum bedeutet das: Fast die Hälfte der Kassenpatienten muss eben doch warten. Für Müller ist das jedoch nur eine gefühlte Benachteiligung, die sich durch das ständige Wiederholen des Klischees, Privat-Patienten würden bevorzugt, in den Köpfen festgesetzt habe. Tatsächlich ist das Thema ein Steckenpferd von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt. Immer wieder macht sie eine angebliche Benachteiligung der Kassen-Patienten aus. Vollmundig verkündete sie im vergangenen Jahr bereits, die private Krankenversicherung abschaffen zu wollen - verfassungsrechtlich eine schwer durchzusetzende Forderung. In den Eckpunkten zur Gesundheitsreform findet sich davon nichts mehr. Stattdessen sollen die Vergütungen für gesetzliche und private Patienten bei vergleichbaren Leistungen angepasst werden. Wie das konkret aussehen soll, steht noch nicht fest. Kann sich Schmidt damit durchsetzen, wäre eine Gleichbehandlung aller Versicherten zumindest auf dem Papier gewährleistet. Die Ärzte wollen an den höheren Vergütungen durch Privatpatienten festhalten. Ansonsten, so heißt es, würden ihnen über zwei Milliarden Euro verloren gehen.

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