"Die knubbeln sich zusammen"

Seit der Wahl am 10. Juni ist Belgien ohne Führung. Und nach einem Streit zwischen Flamen und Wallonen um einen Wahlbezirk im Brüsseler Umland werden wieder separatistische Rufe laut (der TV berichtete). Bricht Belgien auseinander? Der TV fragte nach - bei den Nachbarn von der Deutschsprachigen Gemeinschaft.

 Und alle stehen zusammen – bis auf Flamen und Wallonen: Der Brüsseler „Grand Place“ in der Vorweihnachtszeit. TV-Foto: Fritz-Peter Linden

Und alle stehen zusammen – bis auf Flamen und Wallonen: Der Brüsseler „Grand Place“ in der Vorweihnachtszeit. TV-Foto: Fritz-Peter Linden

St. Vith. Noch immer keine Regierung, Stress zwischen Flamen und Wallonen -und auf dem Beobachtungsposten die Deutschsprachige Gemeinschaft (DG) mit ihren 73 000 Bürgern zwischen Eupen und St. Vith.Zerbricht der Staat, dessen Verfassung von 1831 für viele andere Länder beispielgebend war? "Ich glaube nicht, dass das passiert", sagt Christian Krings, Bürgermeister der Prümer Partnerstadt St. Vith. "Ich glaube an den gesunden Menschenverstand."Die Belgier haben alle viel zu verlieren

Der jedoch hält sich im Augenblick zurück. Denn neben der Regierungskrise führt ständiger Zwist zur Verschärfung des Konflikts zwischen Flamen und Wallonen. Die Situation betrachte er mit Sorge, räumt Krings ein. Dennoch werde man sich am Ende besinnen: "Es geht nicht anders. Es wird wieder mit einem belgischen Kompromiss enden, bei dem jeder etwas Wasser in den Wein schüttet." Außerdem wäre eine Teilung fatal: "Belgien ist eine gewisse Größe in der Europäischen Union", sagt Krings. "Wenn man das zerstückelt, wird man viel weniger Gewicht in die Waagschale bringen können." Solche Überlegungen, das sagt auch Leo Leyens, Ostbelgier aus Burg Reuland und Leiter des Prümer Alten- und Pflegeheims, "gehen an der Realität vorbei. Die Belgier haben dabei alle viel zu viel zu verlieren. Keine Volksgemeinschaft hat eine echte Alternative. Und jede würde bei einer Annektion durch einen Nachbarn das letzte Hinterland dieses Nachbarn werden."Die Deutschsprachigen wissen das: "Die Ostbelgier hängen an diesem Königreich, das ihnen ja auch eine große Autonomie beschert hat - mit vielen Entfaltungsmöglichkeiten", sagt Krings. Dazu gehören unter anderem das Unterrichtswesen, die Kultur, der Sport -"wir sind sehr zufrieden mit der jetzigen Situation."Ein wenig mehr von dieser Zufriedenheit wünscht sich auch Leo Leyens bei seinen Landsleuten. Der aktuelle Streit sei sinnlos - und kein echter Grund für die Auflösung des Staats: "Wenn im Keller der Wasserhahn tropft, reißt man ja auch nicht das ganze Haus ab."Und die Regierungskrise? "Die knubbeln sich zusammen", sagt Christian Krings. Er rechnet fest damit, dass Wahlsieger Yves Leterme eine Koalition aus Christdemokraten und Liberalen bilden wird: "Bis Weihnachten haben wir eine neue Regierung."Hintergrund Staat ohne Regierung - und das seit einem halben Jahr: Belgien ist in der Krise. Der abgewählte Premierminister Guy Verhofstadt führt zwar kommissarisch die Geschäfte - entscheiden kann er aber nichts. Der Wahlsieger, der flämische Christdemokrat Yves Leterme, hat bislang keine Koalitionsregierung zusammenbekommen. Selbst König Albert II. musste zwischenzeitlich einschreiten und die Verhandlungspartner an den Tisch zurückrufen. Dabei wartet das Land auf eine Reform. Die Flamen wollen mehr Eigenständigkeit in Haushaltsfragen und ihren finanziell schwachen wallonischen Brüdern nicht mehr in der bisherigen Höhe unter die Arme greifen. Verschärft wurde die Situation durch einen umstrittenen Beschluss im Innenausschuss des Parlaments: Dort stimmten die Flamen mit ihrer Mehrheit für die Aufspaltung des Wahlkreises Brüssel-Halle-Vilvoorde, der geografisch zu Flandern gehört, aber von vielen Wallonen bewohnt wird. Konsequenz: Mehr als 120 000 französischsprachige Wähler können nun nicht mehr für ihre wallonischen Parteien im abgetrennten Teil des Wahlbezirks abstimmen.

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