Die künftige Kanzlerin kann nicht jedem trauen

BERLIN. Am Montag wollen Union und SPD die Verhandlungen über eine Große Koalition beginnen. Bereits im Vorfeld wird heftig spekuliert, wie selbstbewusst Angela Merkel ihre Rolle als erste Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland wird ausfüllen können. Aussagen über eine beschränkte Richtlinienkompetenz der Kanzlerin in einer Großen Koalition haben diese Debatte angestoßen. Gestern schienen sich allerdings in Berlin die Wogen zu glätten.

Edmund Stoiber ruderte gestern zurück, nachdem er Angela Merkel mit der Debatte um ihre Richtlinienkompetenz als Regierungschefin ordentlich verärgert und entblößt hatte. "Sie wird eine gute Kanzlerin und sie wird mich als CSU-Vorsitzenden und künftigen Wirtschaftsminister eng an ihrer Seite haben", betonte er. Ein Versprechen? Oder eine Drohung? Die Parteichefs von CDU und CSU müssen schon von Amts wegen eng zusammenarbeiten, das gilt auch für die Bundeskanzlerin und ihren Wirtschaftsminister. Ein Vertrauter von Angela Merkel ist und wird Edmund Stoiber deshalb nicht automatisch.Stoiber als verbales Sicherheitsrisiko

Der Bayer ist viel zu sehr als verbales Sicherheitsrisiko verschrien, und das Stoiber-Lager an sich gilt in CDU-Kreisen als geschwätzig. Die künftige Bundeskanzlerin setzt auf ganz andere Vertraute. "Es wäre ganz schlimm, wenn ich jetzt griesgrämig wäre", hatte Merkel am Montag kurz und knapp auf die Frage nach ihrem Gefühlszustand geantwortet, als klar war, sie wird Kanzlerin werden. So ist die Ostdeutsche: Während andere ihre Gemütslage gerne vor sich hertragen, gibt Merkel möglichst wenig von sich preis. Daraus schließen Beobachter aber stets auf ihren Arbeitsstil: sie schotte sich ab, fälle Entscheidungen nur mit den engsten Mitarbeiterinnen im stillen Kämmerlein. Diejenigen, die Merkel nahe an sich heranlässt, beschreiben die CDU-Chefin anders: Sie führe zusammen, könne durchaus moderieren, sei nicht übermäßig misstrauisch, "sondern wach". Genau das aber sind Voraussetzungen, die für die Kanzlerin einer Großen Koalition mit zwei widerspenstigen Machtblöcken notwendig sind. Wer Vertrauter von Merkel werden will, sagt jemand aus ihrem Umfeld, der muss verbindlich sein, inhaltlich sattelfest, und er darf sich nicht permanent öffentlich in den Vordergrund spielen. Eigenschaften, die die CDU-Chefin besonders schätzt, weil zum Teil auch auf sie selbst zutreffend. Merkel ist wählerisch; gehört man aber einmal zu ihren Zirkeln, wird man gehegt und gepflegt. Helmut Kohl machte dies einst mit dem Telefon, Merkel "netzwerkt" modern per SMS. Das hat einen profanen Vorteil - selbst in Sitzungen bleibt die Ostdeutsche permanent auf dem Laufenden. Schäuble ist wieder mit im Boot

Dass die künftige Kanzlerin stets auf der Höhe der Zeit bleibt, dafür sorgen besonders zwei ganze enge Vertraute: Pressesprecherin Eva Christiansen und Büroleiterin Beate Baumann - als "männermordendes Girls-Camp" einst verspottet, weil sie Merkel den Rücken freihielten, während sie bei ihrem Aufstieg Wolfgang Schäuble, Friedrich Merz und Horst Seehofer auf der Strecke ließ. Schäuble ist inzwischen wieder im Boot, beide haben eine gemeinsame Arbeitsebene gefunden, für den Ex-Parteichef ist Loyalität zudem eine Tugend. Deshalb wird er nun auch als Minister oder Fraktionsvorsitzender gehandelt. Mit ihm hätte Merkel ein politisches Schwergewicht im Boot, was im Verhältnis zur SPD nützen kann. Pressesprecherin und Büroleiterin gehören auch zur so genannten "Morgenlage", an der noch CDU-Generalsekretär Volker Kauder, der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Norbert Röttgen, und der Bundesgeschäftsführer der CDU, Johannes von Thadden teilnehmen. Röttgen und Kauder, Vertreter des konservativen Flügels, werden als Kanzleramtsminister und neuer Fraktionschef gehandelt. Darüber hinaus hat sich Merkel im Laufe der Jahre einen Kreis von Mitstreiten geschaffen, Männer im besten Politikeralter zwischen Ende 30 und Mitte 50: Peter Hinze, Peter Altmaier und Ronald Pofalla, ihre Boy-Group, mit denen sie sich regelmäßig austauscht, und die jetzt natürlich für Ämter gehandelt werden.Netzwerk muss neu sortiert werden

Im CDU-Präsidium kann sich Angela Merkel vor allem auf Dieter Althaus, Thüringens Ministerpräsidenten, Annette Schavan, die das Bildungsressort übernehmen könnte, sowie die jugendliche Hildegard Müller verlassen. Sie stehen loyal zu Merkel. Als Kanzlerin wird sie ihr Netzwerk jedoch neu sortieren, vor allem erweitern müssen.

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