"Die schikanieren mich"

TRIER. Ein Frührentner, der zwei Schlaganfälle hinter sich hat, bekommt keine Therapie mehr. Seine Krankenkasse sagt: Der Zustand des Mannes wird sowieso nicht besser.

Franz-Josef K. ist ein hoffnungsloser Fall. Das sieht zumindest seine Krankenkasse so. Der 58-Jährige hatte vor fünf Jahren zwei Schlaganfälle. Seitdem ist sein linker Arm gelähmt. Sprechen kann er nur noch sehr langsam. Er kann nur mit Mühe geradeaus gehen. Mehrmals war er in Reha-Kliniken. Mit mäßigem Erfolg. Bis zu seinem ersten Schlaganfall arbeitete er als Techniker bei der Bahn in Trier. Seit Dezember vergangenen Jahres ist er in Frührente. Mehrere Gutachten des Medizinischen Dienstes bescheinigen ihm, dass eine Besserung seines Zustands nicht in Sicht ist. Trotzdem fordert ihn seine Krankenkasse, die Betriebskrankenkasse (BKK) der Bahn, regelmäßig auf, sich beim Medizinischen Dienst auf seine Arbeitsfähigkeit überprüfen zu lassen. Die Krankengymnastik, mit der zumindest verhindert werden sollte, dass sich die Lähmung verschlimmert, hat die Kasse ihm vor eineinhalb Jahren gestrichen. "Ich habe die Nase voll, die schicken mich von einem Arzt zum anderen, die streichen mir meine Gymnastik. Ich fühle mich schikaniert", sagt K. mit leiser, gebrechlicher Stimme. Er ist am Ende seiner Kräfte. Fein säuberlich hat er alle Briefe der Kasse, alle Gutachten, alle Diagnosen abgeheftet. "Eine kontinuierliche Behandlung erscheint als dringend erforderlich, um die Selbständigkeit des Patienten für den Alltag zu gewährleisten", hat sein Physiotherapeut der Krankenkasse geschrieben. Doch bei der Bahn-BKK in Frankfurt hat man offensichtlich auf stur geschaltet. K.´s Hausarzt kann keine weitere Krankengymnastik mehr verschreiben, die Kasse zahlt sie nicht mehr. Bis Dezember 2002 habe er 210 Anwendungen erhalten, sagt die Kasse auf TV -Anfrage. Das war der Bahn-BKK offensichtlich zu viel: "Die Leistungen der Krankenkassen müssen ausreichend und zweckmäßig sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten", beruft sich die BKK auf das Sozialgesetzbuch. Der Medizinische Dienst sei zum Schluss gekommen, dass keine Besserung bei dem Mann eingetreten sei. Seitdem bekommt K. keine Krankengymnastik mehr. Und seitdem liegt er mit der Betriebskrankenkasse im Clinch. Bei jedem Einspruch schickt sie ihn zum Medizinischen Dienst, der aber stets zum gleichen Ergebnis kommt: Keine Besserung, arbeitsunfähig. Außerdem habe sein Hausarzt ihm geraten, die bei der Krankengymnastik erlernten Übungen zu Hause zu machen, verteidigt die Kasse ihr rigoroses Ablehnen. Der Arzt habe ihnen dann mitgeteilt, dass die Therapie ineffizient sei und daher abgebrochen wurde. "Das ist doch alles Blödsinn. Ich habe immer zu Hause geübt", ärgert sich K. über die Begründung seiner Kasse. "Wir haben unseren Ermessensspielraum im Sinne von Herrn K. ausgeschöpft. Die Zahl der bewilligten Anwendungen liegt deutlich über dem sonst üblichen Maß", sagt die Bahn-BKK. K.´s behandelnder Arzt, der Trierer Allgemeinmediziner Klaus Lienkamp, kann den Ärger seines Patienten verstehen: "Weitere Krankengymnastik wäre mit Sicherheit gut für seine allgemeine Befindlichkeit und sein Selbstwertgefühl. Sie könnten vielleicht auch gegen seine Depressionen helfen und teure Psychotherapien sparen." Aber er hat auch Verständnis für die Kasse: "Es ist klar, dass weitere Anwendungen keine Besserung bringen. Insofern hat die Krankenkasse zumindest formell Recht", sagt Lienkamp. Franz-Josef K. ist ein hoffnungsloser Fall. Seine Kasse hat ihn schon zu den Akten gelegt. Einzige Chance, dass er doch noch an eine Krankengymnastik kommt: "Man müsste eine andere Krankheit bei ihm finden, die Anwendungen notwendig macht, dann müsste die Kasse wieder zahlen", sagt ein Mediziner, der seinen Namen nicht nennen will, der auch schon mit einer solchen "Diagnose" getrickst hat, um seinem Patienten die Therapie zu verschreiben. "Ich kann bald keinen Arzt mehr sehen. Ich will endlich meine Ruhe haben und will, dass mir geholfen wird", sagt Franz-Josef K. mit zittriger Stimme.

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