Dolch ins Herz

WASHINGTON. "Wir werden jetzt der Schlange den Kopf abschlagen." Mit diesen Worten umschrieb gestern ein US-Militärsprecher den Beginn des Großangriffs auf die irakische Hauptstadt.

Erste amerikanische Einheiten befinden sich derzeit nachBerichten von begleitenden Journalisten bereits 30 Kilometer vordem südlichen Stadtrand Bagdads. Eine Division derRepublikanischen Garden sei bereits vollständig vernichtetworden, heißt es im US-Zentralkommando, eine weitere starkgeschwächt. Zuvor hatte es massive und langanhaltendeLuftangriffe auf die Stellungen der Verteidiger vor Bagdad, aberauch wieder auf das Stadtzentrum gegeben. Damit scheint die weitere Strategie der Koalitionstruppen festzustehen: Ohne größere Ruhepausen und ohne deutliche Verstärkung "den Dolch ins Herz des Regimes" (US-General Brooks) zu stoßen und zu hoffen, dass der weiter in großen Teilen des Irak existierende Widerstand kollabiert, sobald das Ende von Saddam Hussein und seinem engsten Führungskreis feststeht.

Die jetzt gestartete massive Offensive basiert nicht nur auf der Überlegung, dass ein weiteres Abwarten das Vorrücken der Verbände erschweren würde, weil jeden Tag die Temperaturen weiter steigen und sich die US-Truppen derzeit bereits in der "Roten Zone" befinden, in der wegen der Furcht vor Giftgas-Angriffen oder biologischen Attacken einige Einheiten bereits Schutzanzüge tragen.

Mit der Aussicht auf ein schnelles Ende der Militärintervention hofft das Weiße Haus auch, Kritik am Kriegskonzept zu zerstreuen sowie eine Eskalation der immer heftigeren Debatte um zivile Opfer zu vermeiden. Auch die britische Regierung soll dem Weißen Haus den Unmut über getötete Zivilisten deutlich gemacht haben.

In bisher nicht erlebter Schärfe hatten am Dienstagabend sowohl Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wie auch Generalstabschef Richard Myers interne Kritiker gemaßregelt und Berichte über Dissonanzen zwischen der politischen Führung des Pentagon und den Militärs als unbegründet zurückgewiesen. Myers warf untergeordneten Militärs vor, mit ihren Zweifeln am Kriegskonzept den Truppen an der Front in den Rücken zu fallen.

Auch die Medien kamen bei der Generals-Schelte nicht ungeschoren davon: Reporter hätten verantwortungslos über den "angeblichen Strategie-Streit" (Myers) berichtet - eine Bemerkung, die sogar Verteidigungsminister Rumsfeld zum Einschreiten mit dem Hinweis auf die die verfassungsmäßig garantierte Pressefreiheit bewog. Doch die vielfach publizierte Auffassung über Probleme der "Koalition der Willigen" weist auch Rumsfeld weiter energisch zurück: Die Offensive laufe gut, der Sieg stehe außer Frage. Und wer die Kriegsführung kritisiere, verstehe den Plan nicht.

US-Regierungsmitglieder geben jedoch in vertraulichen Gesprächen zu erkennen, dass das Erreichen aller zuvor definierten Kriegsziele noch längst nicht garantiert ist. Der geringe Widerstand vor den Toren Bagdads könnte auch darauf beruhen, dass sich die irakische Führung auf einen Straßenkampf in der Hauptstadt konzentrieren wolle, weil sie dabei dem Gegner höhere Verluste zufügen könne.

Bushs Angst vor leeren Händen

Gleichzeitig habe die Suche nach Massen-Vernichtungswaffen an mehr als 30 Orten noch keinerlei Erfolg gebracht, so dass jetzt Washington Berichten zufolge sogar UN-Waffeninspektoren als Helfer angeheuert haben soll - eine Aktion, die auf großen Unmut innerhalb der Uno gestoßen sei.

Am Ende könnte, so fürchtet man jetzt bereits in Washington, George W. Bush mit nahezu leeren Händen dastehen. Denn angesichts der in dieser Wochen offen formulierten Sympathie der syrischen Regierung, die für den "Kampf des irakischen Volkes" Partei ergriffen hat, hält man es in Regierungskreisen nicht für ausgeschlossen, dass große Mengen chemischer und biologischer Kampfstoffe rechtzeitig vor Kriegsbeginn nach Syrien geschafft worden sind - und auch Saddam Hussein dort Unterschlupf finden könnte oder sogar bereits gefunden hat.

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