Drinnen wird beraten, draußen schäumt's

Nächste Runde in Sachen Milchpreise: Während die EU-Agrarminister auf dem Luxemburger Kirchberg über Lösungen in der Milch-Krise debattieren, protestieren Tausende Milchbauern aus mehreren Ländern vor den Türen des Versammlungsortes. Darunter auch rund 400 Demonstranten aus der Region.

 „Ihr habt die Eier, und wir sind in der Sch ... “, skandieren die Milchbauern vor dem EU-Ratsgebäude auf dem Luxemburger Kirchberg. Dort treffen sich die EU-Landwirtschaftsminister, um über Wege aus der Milchkrise zu beraten. TV-Foto: Patrick Wiermer

„Ihr habt die Eier, und wir sind in der Sch ... “, skandieren die Milchbauern vor dem EU-Ratsgebäude auf dem Luxemburger Kirchberg. Dort treffen sich die EU-Landwirtschaftsminister, um über Wege aus der Milchkrise zu beraten. TV-Foto: Patrick Wiermer

Luxemburg. Der Ort des Milch-Gipfels der EU-Landwirtschaftsminister ist freilich nicht zufällig. Als guter Zufall erweist sich aber für die Milchbauern, dass Luxemburg in der Mitte Europas liegt, inmitten der Agrar-Nationen Frankreich, Belgien, Deutschland. Rund 5000 Landwirte sind auf den Kirchberg gekommen - mit rund 700 Schleppern. Das sorgt für ein mittleres Verkehrschaos rund um das Luxemburger Banken- und Verwaltungsviertel, Autobahnauffahrten werden gesperrt, eine Ausfahrt ist am Morgen nicht mehr möglich.

"Das Sterben wird nur verlängert"



Und noch ein Zufall: Die Bauern bringen sich ausgerechnet vor dem "Utopolis", dem High-Tech-Glas-Bau neben dem Versammlungsort, in Stellung. Denn utopisch scheint auch eine Lösung im Streit um die Milchpreise zu sein: "Ich erwarte nicht, dass das heute irgendwas bringt", sagt Kurt Kootz, Landesvorsitzender des Bundesverbandes deutscher Milchviehhalter (BDM). Die von 21 EU-Ländern vor ein paar Tagen geforderte und in Luxemburg zur Abstimmung stehende Finanzhilfe stößt bei den Bauern direkt auf Widerstand. "300 Millionen Euro sollen die europäischen Milchbauern bekommen. Das sind für jeden Bauern 0,2 Cent pro Kilo Milch. Damit wird das Sterben nur verlängert." Aus den Radios in ihren Traktoren erfahren die Bauern derweil von den ersten Beschlüssen der Konferenz: Der Fonds zur Entlastung der Milchwirtschaft soll nur 280 Millionen Euro betragen (siehe Bericht unten).

Rund um das EU-Gebäude auf dem Kirchberg herrscht angespannte Ratlosigkeit: Auch die Bauern sind sich nicht in allen Punkten einig. Aufkleber mit "Ich bin kein Mitglied im Bauernverband" werden verteilt, in Anspielung an die anhaltenden Konflikte zwischen den Milchviehhaltern und dem Dachverband der Landwirte.

Am Morgen ist es weitestgehend friedlich. Auf dem seit 9 Uhr blockierten Boulevard Kennedy wird in der Oktobersonne gegrillt, getrunken und gelacht - in der Ferne hört man vereinzelte Böllerschüsse und ein dumpfes Knallen. Ein Luxemburger hat eine Art Kanone auf seinen Traktor montiert - per Gas-Druck wird ein infernalisches "Bumm" erzeugt.

Ein kurzes Vorgeplänkel, denn gegen Mittag schieben sich die Demonstranten in Richtung Versammlungsgebäude vor. Sie verteilen sich auf den umliegenden Terrassen, stehen in 30 Metern Entfernung parallel zu dem modern-grauen Bau. Die Polizei hat sich dazwischen mit einem Wasserwerfer, zwei großen Schiebern, mehreren Hundert Mann und rund 200 Metern Stacheldraht aufgebaut. Die Szene heizt sich auf. Mittendrin Johann Hirt aus Saarburg: "Die Agrarminister müsste man zur Rechenschaft ziehen. Die geplante Soforthilfe ist eine riesige Steuerverschwendung. Und was die mit uns machen, ist schon fast Völkermord. In Deutschland haben sich schon sieben Bauern das Leben genommen."

Im Hintergrund hört man in gleicher aufgebrachter Tonlage deutsche Dialekte, Italienisch und Österreichisch. Während die Bauern aus dem fernen Galizien dem spanischen Nationalfernsehen noch Interviews geben, werfen die ersten Demonstranten Zitronen, Eier, Kuhdung, Müll und mit Milch gefüllte Luftballons auf die Polizisten. Später brennen Strohballen und Reifen, Knallkörper und Raketen fliegen. Die Polizei lässt ihrerseits den Wasserwerfer laut aufbrummen. Zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt es aber nicht.

"Kämpfen oder sterben"



Um 15.30 Uhr endet der Milch-Gipfel, eine Delegation der Bauern trifft sich mit den Ministern. Ergebnis: In den nächsten Wochen soll über weitere Maßnahmen verhandelt werden. Konflikt vertagt, die Anspannung bleibt. "Wir wollen weitermachen, solange wir können", sagt BDM-Mann Kootz. "Richtig eng wird es aber im Februar. Dann müssen wir Dünger kaufen, um später Futter für die Tiere zu haben." Johann Hirt: "Es geht an die Substanz, Investitionen werden aufgeschoben, Tierärzte werden nur noch im äußersten Notfall gerufen - alles, um die Kosten zu sparen. Es heißt: kämpfen oder sterben."

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