Druck ja, Krieg nein!

Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler im TV -Interview: Der Papst hat Recht und nicht die amerikanische Regierung

TRIER. Der Zug für eine friedliche Lösung des Irak-Konflikts istnoch nicht abgefahren. Das jedenfalls ist die Meinung vonEx-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler (73). Im<i>TV -Interview sagt der politische Querdenker,warum er dem Papst mehr vertraut als George Bush, warum AngelaMerkel Bundeskanzlerin werden soll, und warum die CDU inRheinland-Pfalz keinen Fuß auf den Boden bekommt.

Herr Geißler, ist der Irak-Krieg noch zu verhindern? Geißler: Davon bin ich fest überzeugt. Wenn alle ernst meinen, was sie sagen - einschließlich der US-Regierung - ist der Krieg das letzte Mittel. Und die letzten Mittel sind noch lange nicht ausgereizt.


Die Äußerungen aus Weißem Haus und Pentagon klingen aber anders…

Geißler: Ich glaube, dass die Amerikaner die Drohkulisse richtigerweise aufrecht erhalten. Ohne Druck ginge auch die Abrüstung im Irak nicht voran.

In Deutschland demonstrieren die einen gegen den drohenden Irak-Krieg, die anderen, darunter viele namhafte CDU-Politiker, schreiben Solidaritäts-Adressen an die Amerikaner. Auf welcher Seite stehen Sie?

Geißler: Ich stehe auf meiner Seite. Solidaritäts-Adressen sind irrelevant, solange der Inhalt unklar ist. Das selbe gilt natürlich auch für die Demonstrationen. Mein Standpunkt ist: Ein Krieg ist unter den jetzigen Voraussetzungen ethisch und völkerrechtlich nicht zu verantworten.

Sie sagen: Solidaritäts-Adressen sind irrelevant. Ihre Parteichefin Angela Merkel sieht das offenbar anders. Waren Zeitpunkt und Absicht ihrer USA-Reise glücklich?

Geißler: Ich hatte nach Lektüre der Presseberichte eher den Eindruck, dass Frau Merkel den Amerikanern nicht nach dem Mund geredet, sondern darauf bestanden hat, eine Lösung im Rahmen der Vereinten Nationen zu finden.

Können Sie unseren Lesern erklären, welche Position in punkto Irak-Konflikt die Union derzeit eigentlich vertritt?

Geißler: Das ist nicht ganz einfach. Erstens kritisiert die Union das taktische Verhalten der Bundesregierung, also die Aussagen im Wahlkampf, ohne zuvor mit den Amerikanern Kontakt aufgenommen zu haben.

Schröders Wahlkampfreden sind aber doch Schnee von gestern…

Geißler: Kann Schnee von gestern sein, hat aber doch zu erheblichen Irritationen geführt und das deutsch-amerikanische Verhältnis nicht befördert.

Nun gibt es ja unbestritten eine Diskrepanz zwischen der Irak-Haltung der Christlich Demokratischen Union und der der beiden großen Kirchen im Land. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler hat zugespitzt formuliert: "Ihr müsst entscheiden, ob Bush Recht hat oder der Papst!" Können Sie Gauweiler folgen?

Geißler: Ich bin kein Anhängsel von irgend jemandem, ich folge mir selbst. Auf die Frage: Wer hat Recht in der gegenwärtigen Situation sage ich: Der Papst hat Recht und nicht die jetzige amerikanische Administration.

Spekulationen zufolge erwägt Papst Johannes Paul II. eine Reise nach New York, um mit einer Rede vor den Vereinten Nationen die Abwendung eines Krieges zu erreichen. Was hielten Sie davon?

Geißler: Alles, was dem Frieden dient und einen unnötigen Krieg verhindert, sollte gemacht werden. Ich würde daher eine Papst-Reise nach New York begrüßen. Übrigens bin ich nicht grundsätzlich gegen die Anwendung militärischer Gewalt, wenn es darum geht, Vertreibungen zu verhindern oder schwerste Menschenrechtsverletzungen zu beseitigen. Deshalb ist es auch richtig, dass die Bundeswehr im Kosovo oder in Afghanistan präsent ist.

Ist die Zeit für eine militärische Intervention im Irak denn nicht langsam reif?

Geißler: Die Möglichkeiten für eine friedliche Beilegung des Konflikts sind noch nicht ausgeschöpft. Außenminister Fischer hat Recht, wenn er kritisiert, dass die UN-Waffeninspektionen womöglich ausgerechnet jetzt abgebrochen werden sollen, wo sie erfolgreich sind.

Nach Angaben der Amerikaner liegen genügend Beweise für ein militärisches Einreifen vor…

Geißler: Das ist sehr umstritten. Vor dem UN-Sicherheitsrat haben die Amerikaner nichts Neues vorgelegt. Gerade deshalb sind viele Länder ja auch so skeptisch.

Die Amerikaner haben in den letzten Tagen immer wieder deutlich gemacht, dass sie den Irak notfalls auch ohne eine neue UN-Resolution angreifen werden. Wären die Vereinten Nationen damit nicht auf Dauer beschädigt?

Geißler: Wenn es so käme, wäre das ein schwerer Schlag gegen die Idee der Vereinten Nationen. Aber ich glaube nicht, dass die Amerikaner so weit gehen.

Wie beurteilen Sie in diesem Kontext die Dissonanzen innerhalb der Europäischen Union?

Geißler: Sehr negativ. Das ist eine schlechte Entwicklung, die von der US-Regierung, aber auch von Tony Blair oder dem spanischen Ehrgeizling Aznar gefördert worden ist. Auch die Haltung vieler osteuropäischer Staaten ist nicht in Einklang zu bringen mit der europäischen Solidarität.

US-Präsident Bush schwärmt bereits von einem neuen demokratischen Irak. Ist die Wahrscheinlichkeit nicht größer, dass bei einem Krieg der Mittlere und Nahe Osten weiter destabilisiert wird?

Geißler: Das sagen zumindest alle Fachleute. Wenn die USA wirklich dafür sorgen wollten, dass ein Diktator nach dem anderen verschwindet und die Menschenrechte überall durchgesetzt werden, würde ich der amerikanischen Regierung sofort folgen. Aber wenn es im Irak gemacht wird, dann ist als nächstes Saudi-Arabien an der Reihe. Dort werden die Menschenrechte noch massiver verletzt als im Irak oder im Iran. Anschließend wären möglicherweise die Chinesen dran. Eine solch stringente Strategie der Amerikaner existiert aber nicht. Man benötigt übrigens nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, was passiert, wenn ein US-General den Irak regiert: Fundamentalisten erhielten Zulauf und Terroranschläge nähmen zu.

Sie sagten zu Beginn, der Krieg sei noch zu verhindern. Wie denn?

Geißler: Wenn Franzosen, Deutsche, Russen, aber auch die anderen "Kriegs-Gegner" im Sicherheitsrat bei ihrer Haltung bleiben, werden die Amerikaner den Irak wahrscheinlich nicht angreifen.

Rot-Grün bietet derzeit ein völlig chaotisches Bild. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum auch die CDU/CSU derzeit nicht recht überzeugen mag?

Geißler: Es fehlt an der richtigen Analyse und am Mut, daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Beispiel Sozialversicherungssysteme: Die bisherigen Analysen gehen am Kern des Problems vorbei, dass nämlich die Finanzierung von Renten- und Krankenversicherung ausschließlich vom Lohn abhängig gemacht wird. Steigt die Zahl der Arbeitslosen, sinkt automatisch die Zahl der Beitragszahler. Das finanzielle Loch wird größer, die Beiträge müssen erhöht werden…

…und weitere Arbeitnehmer werden entlassen.

Geißler: Exakt. Wer diesen Teufelskreis durchbrechen will, muss die Ursachen beseitigen. Die Lösung liegt in einer Volksversicherung nach Schweizer Vorbild: Dort zahlen alle - also auch der Millionär, der Häuslebesitzer oder das Gemeinderatsmitglied - von allem für alles. In der Schweiz wird auch von Sitzungsgeldern ein Beitrag in die gesetzliche Rentenversicherung abgeführt. Die Lohnnebenkosten aus Sozialversicherungsbeiträgen sind daher nur halb so hoch wie in Deutschland.

Glauben Sie, dass in Deutschland Mut und Mehrheiten für eine derart grundlegende Reform da sind?

Geißler: Da bin ich eher skeptisch, auch wenn es Signale gibt, die Anlass zur Hoffnung geben.

Der Bremer CDU-Parteitag von 1989, auf dem Helmut Kohl Sie nach zwölf Jahren nicht mehr als Generalsekretär vorgeschlagen hat, ist fast schon legendär. Wie ist 14 Jahre später Ihr Verhältnis zum Alt-Kanzler?

Geißler: Das ist kein Thema.

Sie haben dem deutschen Bundestag 2002 nach insgesamt 24 Jahren den Rücken gekehrt. Ist Ihre Meinung in der Union noch gefragt?

Geißler: Wer hören will, was ich sage, soll\\\'s hören. Wer nicht, der lässt es bleiben - zu seinem eigenen Schaden.

Es wird oft beklagt, in der Politik fehlten heute Originale und Querköpfe wie Strauß, Brandt, Wehner oder auch ein Heiner Geißler. Täuscht der Eindruck?

Geißler: Nein. Die Fähigkeit selbst zu denken, nimmt in politischen Kreisen rasant ab. Den Abgeordneten, der nur seinem Gewissen unterworfen und an Aufträge und Weisungen nicht gebunden ist, gibt es so gut wie nicht mehr. Wir sind Zeugen eines schleichenden Verfalls der parlamentarischen Demokratie.

Woran liegt das?

Geißler: An der Übermacht von Parteivorständen und Regierung und der von ihnen ausgehenden Entmachtung des Parlaments. Ein Beispiel hierfür ist die "Kommissions-Flut" der Bundesregierung. Zudem haben wir einen überdimensionierten Fraktionszwang. Wenn Abgeordnete, nur weil sie eine eigene Meinung haben, zu Außenseitern gestempelt werden, ist das ein Verstoß gegen die Verfassung.

Sie waren lange Minister in Rheinland-Pfalz. Warum bekommt die CDU im konservativ geprägten Land der Reben und Rüben kein Bein mehr auf den Boden?

Geißler: Die CDU muss wieder lernen, dass nicht die Kirchen und Gewerkschaften, sondern die Sozialdemokraten ihre politischen Gegner sind. Sie muss wieder zu einer echten Volkspartei werden, die auch von den "kleinen Leuten" gewählt werden kann. Und sie muss aus dem Schlepptau des Neoliberalismus heraus und erkennbar eine ethisch fundierte Politik auf dem Boden des christlichen Menschenbildes betreiben.

Ist der Philosoph Christoph Böhr der geeignete Gegenspieler des Volkstribunen Kurt Beck?

Geißler: Wer Christoph Böhr angreift und ihm die Eignung abspricht, soll erst einmal beweisen, dass er es besser kann.

Abschließende Frage: Wie sollte der nächste Kanzlerkandidat der Union heißen: Angela Merkel oder Roland Koch?

Geißler: Wenn Angela Merkel keine Fehler macht und sie Kanzlerkandidatin werden will, führt kein Weg an ihr vorbei.

Mit Heiner Geißler sprach TV-Redakteur Rolf Seydewitz.

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